Ein Film über Koexistenz
Die Katzen seien die Hauptfiguren des Films, erklärt der japanische Dokumentarist Kazuhiro Soda einem neugierig vor seine Kamera tretenden Mann, der zum Unkrautjäten gekommen ist. Doch auch wenn Sodas Aufmerksamkeit dem Treiben der Tiere gilt, die dem Handkamerablick des Filmemachers aber auch immer wieder entwischen, ist „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ wie zuvor schon „Peace“ (2010) vorwiegend ein Film über die Koexistenz von Menschen und Menschen und Menschen und Katzen.
Ortsansässige kommen zum Füttern vorbei, andere pilgern von weither an. So wie die junge Frau, die alle zwei, drei Wochen ihre Lieblingskatze aufsucht, um sich von den Strapazen des Arbeitslebens „heilen“ zu lassen. Die flauschigen Schrein-Bewohner, die nahezu jeder beim Namen zu kennen scheint, sind aber auch ein begehrtes fotografisches Sujet, und so wird manches Gespräch vom klickenden Geräusch der Kameras begleitet.
Doch nicht alle Menschen in Ushimado erfreuen sich an der Kolonie. So ist der Kot, der auf dem Gelände wie in den umliegenden Gärten hinterlassen wird, für viele ein ständiges Ärgernis. Wobei sie stets bemüht sind, ihre Ablehnung möglichst diskret zum Ausdruck zu bringen: „Ich hasse Katzen nicht wirklich“. Um die Vermehrung einzudämmen, geht eine Freiwilligen-Gruppe mit Sterilisierungsmaßnahmen einer „geordneteren“ Form der Katzenpflege nach. Doch trotz solcher Maßnahmen scheint die Population nicht erkennbar zu schrumpfen. Und da sich die gute Versorgungslage in den sozialen Medien herumgesprochen hat, fühlen sich manche Menschen auch eingeladen, junge Katzen am Gokogu-Schrein auszusetzen.
Ein beobachtendes Filmemachen
„Observational filmmaking“ nennt Kazuhiro Soda seine am historischen „direct cinema“ angelehnte Methode, zu der auch ein eigens ausformuliertes Regelwerk existiert: keine Recherchen, bediene die Kamera selbst, verwende lange Einstellungen, finanziere die Produktion selbst. Diese „10 Gebote“ lassen sich neben anderen Texten von Soda in dem schönen Buch „Why I Make Documentaries“ nachlesen.
In „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“, dem mittlerweile zehnten Teil der Serie, ist der Begriff des „observational film“ fast ein wenig irreführend. Schon in der ersten Szene bringt einer der Protagonisten den Ansatz der bloßen Beobachtung zum Kippen. Eine rötliche Katze haut mit ihren Pfoten immer wieder auf Sodas Mikrofon und schleckt und knabbert am Schaumstoff-Überzug. Diese Chata-kun genannte Katze schleicht sich auch einmal in die Wohnung des Filmemachers, der sie mit Hilfe seines Kamerastativs wieder hinausschiebt. Als das Tier während eines Taifuns maunzend vor seiner Tür steht, gewährt er ihr vorübergehend Obdach.
Die dialogische Interaktion wird dabei zum prägenden Element. Soda unterhält sich mit den Menschen, denen er am Gokogu-Schrein über den Weg läuft. Er fragt nach ihren früheren Berufen, sie erkundigen sich im Gegenzug nach seinem Vorhaben und bewundern seine professionelle Ausrüstung. Manche bringen sich auch mit Vorschlägen ein. Soda wird dabei wahlweise mit „Hey, Regisseur“ oder „Hey Kameramann“ angesprochen; „Konzentriere dich“, ruft ihm ein Angler zu, als er seinen Fang an Land zieht.
Eine Ordnung des Kümmerns
Die Methode von Sodas großem Vorbild Frederic Wiseman kommt deutlich zum Tragen, wenn er ausführlich eine Sitzung im Stadtrat dokumentiert; zur Debatte steht nicht nur die Ausrichtung und Finanzierung der jährlich stattfindenden Schrein-Zeremonie, sondern auch das im Zuge des Katzenhypes entstandene Müllproblem. Die Bürger sind bei allen Differenzen aber immer darum bemüht, ein Auskommen zu finden und zu kooperieren. Sie müssen das auch. Die Überalterung der japanischen Gesellschaft ist insbesondere in entlegenen Gegenden wie Ushimado ein drängendes Problem, Menschen wie Katzen bedürfen der Fürsorge. Allein durch unermüdliche Freiwilligenarbeit wird das gesellschaftliche Leben am Laufen gehalten.
Kazuhiro Soda und seine Produzentin Kiyoko Kashiwagi leben zeitweise selbst in Ushimado, wo auch schon andere Filme wie etwa „Inland Sea“ (2017) entstanden sind. Sie kreisen alle um Fragen des Zusammenlebens, der Kooperation und des Kümmerns, um Krankheit und Tod und die zyklische Ordnung. Gegen Ende von „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ wird eine Katze begraben, und wie zu Beginn des Films stehen die Kirschbäume in voller Blüte. Neues Leben gibt es auch bei den Katzen.