„‚Was ist das. – Was – ist das …‘ – Je, den Düwel ook, c’est la question …‘“ So beginnt das literarische 20. Jahrhundert, Thomas Manns erster Roman „Buddenbrooks“. Und so wie dieser Satz – stockend-suchend, neu ansetzend, fragmentarisch und quasi exotisch in drei Sprachen – umkreist und sondiert der semidokumentarische Film „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ von André Schäfer dessen Lebensprojekt „Felix Krull“. Und dessen tiefgründige motivische Beziehungen und wechselseitige Spiegelungen von Werk und Autor, die das an autobiografischen Offenbarungen nicht gerade arme Œuvre von Thomas Mann in diesem Roman besonders reichhaltig offeriert.

Wie bei ähnlich gelagerten Fällen verschafft sich das Produktionsteam vorab durch apologetische Hinweise („nach Texten von Thomas Mann“) die kreative Lizenz für seinen recht freien Umgang mit dem „Material“. Der Regisseur und die Drehbuchautoren Hartmut Kasper und Jascha Hannover wählen im Zusammenspiel mit dem sehr prominent in Szene gesetzten und nahezu einzigen Darsteller Sebastian Schneider als Felix Krull/Thomas Mann eine der möglichen Lesarten des Textes: die als homoerotisches Bekenntnisbuch.

Ein „Buch der Kindheit“

Thomas Mann haderte während seiner schriftstellerischen Tätigkeit oft recht selbstkritisch mit seinen poetischen Projekten, ihrer Sinnhaftigkeit und Stellung in der literarischen Tradition. Da war auch viel Koketterie im Spiel, denn letztlich war der „Zauberer“ von der Welthaltig- und -gültigkeit seiner Hervorbringungen zutiefst überzeugt. Doch mit dem „Krull“ war es etwas Besonderes. Bereits in seinen frühen Bildungsjahren (1905) konzipiert, unterbrach sich Mann häufiger in seiner Arbeit; es erschien zunächst das „Buch der Kindheit“ (1922), und während nahezu 40 Jahren gefiel sich Thomas Mann in seinen anderen Werken und Briefen mit etlichen thematischen und motivischen Bezugnahmen auf den Hochstaplerstoff.

Warum führte der Perfektionist jenes Projekt nicht ebenso schleunig und schlüssig zum Abschluss wie alle seine anderen? Bestimmte der Umstand, dass der „Krull“ auch ein Reisebuch ist, eines über häufige, teils jähe, teils auch unfreiwillige Ortswechsel, die Entscheidung, es ab 1951 im Exil doch noch zu Ende zu bringen, nachdem auch Thomas Mann ab 1933 gezwungenermaßen zum Nomaden, ja Flüchtling geworden war? Das sind die Fragen, die die dokumentarische Facette des Films zu verhandeln versucht.

Dazu versammelt er eine erschöpfende Vielzahl von Texten, Tönen und (teilweise auch bewegten) Bilder von Thomas Mann, im Kern lauter Selbstkommentar, die abwechselnd vom Autor selbst und von Sebastian Schneider zum Vortrag gebracht werden, der dann auch als junger (Thomas) Mann in Erscheinung tritt und – durchaus anachronistisch – die gesamte Werkgenese des „Krull“ beleuchtet.

Ganz im Bann des Camp

Die Fülle dieser historischen Materialien – später kommen noch Originalaufnahmen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hinzu –, oft in Schwarz-weiß, droht die Balance des Films zu gefährden, denn in einer zweiten, sehr bunten und hemmungslos eskapistisch-utopischen Ebene flaniert Schneider, nun lustvoll changierend zwischen dem Autor und seinem Geschöpf, zwischen Mann und Krull, durch die Orte des Geschehens, des Romans wie auch der verschiedenen Lebensstationen von Mann – ein sympathischer Kobold durch Raum und Zeit. Eine besondere Hervorhebung verdienen hierbei die Ausstattung und vor allem die modern-artifiziellen Kostüme von Lara Marie Kainz, deren Auswahl und Kombination das reine Vergnügen gewesen sein muss.

Dabei vereinnahmt der Film den Roman von Anfang an für das Konzept des Camp und verortet ihn in einer dezidiert schwulen Atmosphäre und Ästhetik. Das muss nicht zwangsläufig danebengehen; Thomas Mann war ein Homosexueller – oder präziser: er lebte nicht, er träumte homosexuell –, und der „Krull“ ist in vielerlei Hinsicht auch eine schwule Fantasie, nicht zuletzt in seinem ausgesprochenen „Gedanken der Vertauschbarkeit“ aller Rollen, nicht nur der gesellschaftlichen. Schäfer & Schneider denken dies radikal weiter, dekonstruieren wesentliche Teile des Materials und setzen einiges in der Absicht, Manns Werk „zur Kenntlichkeit zu entstellen“, auch neu zusammen. So lassen sie Thomas Mann nach seinem anfänglichen Bekenntnis („Weiß auch, dass ich falsch lebe“) in Schneiders Person als sein Alter Ego durch eine Geschichte führen, die auf solche Art eher sein Sohn Klaus erzählt hätte. Aus Wagners „Parsifal“ wird so eine Operette – und aus dem erotischen Finale des Romans ein schwuler Softporno.

Eine interpretatorisch offene Idee

Eine entfernt an die Atelierszenen in Oscar Wildes „The Picture of Dorian Gray“ angelehnte Rahmenhandlung mit dem Maler Friedel Anderson (als Felix Krulls Pate Schimmelpreester?) verklammert solche Eskapaden ästhetisch, was eine gute, weil interpretatorisch tendenziell offene Idee ist! „Liebe zu sich selbst ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“, heißt es sentenziös bei jenem anderen Säulenheiligen des Camp – und nach dieser Maxime lebte sicherlich auch Thomas Mann zuweilen exzessiv, allerdings eben nicht derart öffentlich expressiv. Das mag man bedauern oder auch nicht – der Film jedenfalls liefert in seinen letzten Einstellungen selbst eine Begründung für Manns Entscheidung, sich früh eine eher bürgerliche „Verfassung“ zu geben: Alle inneren Spannungen gelte es auszuhalten (und auszubeuten!) – um Kunst schaffen zu können. Eine unzeitgemäße, vielleicht auch ungesunde Anschauung der Dinge, aber auch (s)eine authentische und respektable.