UN PEU, BEAUCOUP, AVEUGLÉMENT!
Komödie Frankreich 2015
Kinostart: 21. September 2016
91 Minuten
ab 6; f
Regie: Clovis Cornillac
Buch: Lilou Fogli, Clovis Cornillac, Tristan Schulmann, Mathieu Oullion
Kamera: Thierry Pouget
Musik: Guillaume Roussel
Schnitt: Jean-François Elie
Darsteller:
Mélanie Bernier (Madame (Nachbarin)), Clovis Cornillac (Monsieur (Nachbar)), Lilou Fogli (Charlotte), Philippe Duquesne (Artus), Grégoire Oestermann (Evguenie), Oscar Copp (Dan), Boris Terral (Unbekannter Italiener), Manu Payet (Supermarkt-Kassierer), Arnaud Lechien (Paul), Sophie Le Tellier (Juliettes Mutter)
Filmhomepage, Programmkino.de, EPD-Film
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Kurzkritik Filmdienst
Ein menschenfeindlicher Erfinder vertreibt jeden Mieter, der nebenan einziehen will. Eine junge Pianistin lässt sich von seinen Psychotricks aber nicht beeindrucken. Nach anfänglichem Schlagabtausch kommt es sogar zur Verständigung. Während sie weiter nur durch die Wand miteinander kommunizieren, entwickeln sich bald tiefere Gefühle. Die romantische Komödie überrascht trotz ihres vorhersehbaren Verlaufs durch originelle, liebevoll arrangierte Details. Ein sympathischer Unterhaltungsfilm, der unterschwellig für Entschleunigung und Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter plädiert.
Ab 14.
Marius Nobach, FILMDIENST 2016/20
Trailer (117 Sekunden):
ausführliche Kritik Filmdienst
Die Geräusche auf der anderen Seite können einen in den Wahnsinn treiben. Dass sich in Mietshäusern, je nach eigener Sensibilität und Bausubstanz, oft reger Anteil am Leben der übrigen Hausbewohner nehmen lässt, ist ein bekanntes Phänomen. Das Kino hat sich dies als Motiv mit zwei entgegengesetzten Ausrichtungen zu Nutze gemacht: In der Figur des unvermuteten Mithörers in Komödien oder aber in Thrillern oder Horrorfilmen, in denen die undeutlich hörbaren Geschehnisse hinter der Wand den Eindruck des Unheimlichen verstärken.
Im Falle von „Mit dem Herz durch die Wand“ ruft der Anfang zunächst einmal die unheimliche Tradition auf. Kaum ist die junge Protagonistin in ihre neue Wohnung gezogen, beginnt der Spuk. Laute Stimmen, peinigendes Quietschen, Pfeifen und Kratzen dringen von nebenan herüber, und dann beginnt sich auch noch das Bild an der Wand zu drehen. Ein genauerer Blick verrät jedoch bald den Verursacher der Heimsuchung: den Mann in der Nachbarwohnung, der nicht die geringste Störung verträgt. Da die Trennwand so dünn ist, dass jedes Geräusch von nebenan zu ihm dringt, vertreibt er seit Jahren die Mieter mit seinen Psychotricks. Der Misanthrop hat aber nicht berücksichtigt, dass seine neue Nachbarin die Lage einfallsreich gegen ihn wenden könnte. Und auch nicht, dass die wahrgenommene Gegenwart des Anderen auch intime Nähe bedeutet.
Eine gemeinsame Notlage führt zum Nachbarschaftskrieg führt zu Verständigung führt zu Annäherung führt zu so etwas wie Liebe. Es sind die etablierten Stationen der romantischen Komödie, denen der französische Schauspieler Clovis Cornillac in seinem Regiedebüt folgt, so glatt, geschmeidig und vorhersehbar aneinandergereiht, als habe er sich nur ja nicht von den Mustervorlagen des Genres entfernen wollen. Oder aber, als habe er diesen konventionellen Rahmen gebraucht, um sich dafür in den einzelnen Details umso kreativer austoben zu können.
Hierfür spricht einiges, angefangen bei der von Cornillac selbst gespielten männlichen Hauptfigur. Entgegen seinem Image tritt der robust gebaute Darsteller mit den buschigen Augenbrauen hier als überraschend feinsinniger Künstlertyp auf. Als finanziell abgesicherter Erfinder kann er es sich leisten, kleinteilige, hochkomplexe Spiele zu entwickeln. Er ist ein begnadeter Gourmet-Koch, und auch sein musikalischer Geschmack ist exquisit. Sogar das Klavierspiel seiner Nachbarin kann er verbessern, die eine Laufbahn als Pianistin anstrebt, ihr Talent aber aus Unsicherheit noch nicht entfalten konnte. Dank seiner Tipps fließt auf einmal Leidenschaft in ihre Chopin-Interpretation ein, was selbstbewusst überzogen inszeniert ist – inklusive wehender Haare und fortfliegender Brille. In Sachen Geschlechter-Gleichheit ist der Film freilich nicht gerade auf Höhe der Zeit: Der Mann darf vielschichtig sein, während die Frau auf den Part der schusseligen Liebesbedürftigen beschränkt bleibt, die der Anleitung bedarf.
Solche Fehlgriffe männlicher Bevormundung sind umso irritierender, als es Cornillac an sich überzeugend gelingt, seine Protagonisten gleichberechtigt in Szene zu setzen. Dabei erweist er sich wie die Hauptfigur als sorgfältiger Arrangeur feiner Details, was vor allem in Montage-Sequenzen sichtbar wird: Der anfängliche Lärm-Wettstreit, der sich vom Naheliegenden (Maschinenkrach versus lautes Klimpern) zum Perfiden (Sexgeräusche auf Band gegen das Metronom) entwickelt, ist ein komischer Höhepunkt, wie auch die ungewöhnliche Beziehung immer wieder köstliche Einfälle gebiert, nachdem sich die Streithähne zusammengerauft haben. Denn auch mit wachsender Vertrautheit kommunizieren die beiden nur durch die Wand miteinander, Zärtlichkeiten, Berührungen, selbst Augenkontakte bleiben bewusst außen vor.
Die Konsequenz, mit der Cornillac diese Ohrenfreundschaft als Romanze umsetzt, ist beachtlich und macht „Mit dem Herz durch die Wand“ trotz einiger flacherer Stellen zum sympathischen Ausreißer unter den aktuellen romantischen Komödien. Während dort mittlerweile SMS-Flirts, Liebes-Apps, Social-Media-Verabredungen und ähnliches das Tempo vorgeben, plädiert Cornillac für ein radikales Gegenmodell der Entschleunigung und das Recht auf Privatsphäre auch im digitalen Zeitalter – seine Hauptfiguren geben noch nicht einmal ihre Namen preis.
Marius Nobach, FILMDIENST 2016/20