They Shall Not Grow Old (alt werden sie nicht) – in der Auswahl für 2019
Für diesen Film bieten wir bei Interesse gerne auch Sonderveranstaltungen für Schulen zum Eintritt von 3,50 € an.
Eintritt: 5,00 €
Großbritannien 2019
Kinostart: 27. Juni 2019
99 Minuten
FSK: ab 16
FBW: Prädikat besonders wertvoll
Regie/Drehbuch: Peter Jackson
Musik: Plan 9
Schnitt: Jabez Olssen
Filmhomepage, WIKIPEDIA
Webseite des Imperial War Museums (England)
Kritiken:
Kritik von Georg Seeßlen im Filmmagazin EPD (3 von 5 Sternen)
Kritik von Karsten Munt im Filmdienst (3 von 5 Sternen)
Kritik von Thomas Assheuer in der Zeit
Kritik von Andreas Kilb in der FAZ
Kritik von Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau
Kritik von Martina Knoben in der Süddeutschen Zeitung
Kritik von Sven Felix Kellerhoff in der Welt
Kritik von Christian Schröder im Tagesspiegel
Kritik von Martin Wolf im Spiegel
Kritik von Fabian Tietke in der taz
Kritik von Dominik Kamalzadeh im Wiener Standard
Kritik von Marion Löhndorf in der Neuen Züricher Zeitung
Schulmaterial:
Kinofenster: Film des Monats
Vision Kino: FilmTipp – als PDF
Trailer (158 Sekunden):
mdr Kultur Filmmagazin (5 Minuten):
ARD/BR kinokino (3 Minuten):
ARD/BR kinokino (65 Sekunden):
ausführliche Kritik Filmdienst
Technisch innovativer Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg, der mit kolorierten und nachvertonten Archivbildern das Sterben an der Westfront vergegenwärtigt.
Als Europa dem Wahnsinn verfiel, war das Kino erst wenige Jahre alt. Der Film lernte zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch das Laufen und rang darum, als Kunstform anerkannt zu werden, während der Kontinent mit der bis dato ungekannten Zerstörungskraft der Kriegsmaschinerie in die Moderne gehämmert wurde. Für das Kino war der Erste Weltkrieg, bis zur Einführung des Tonfilms, der größte Einschnitt seiner Geschichte. Das Verhältnis von Kino und Krieg prägte dementsprechend einen Großteil der frühen Filmgeschichte. Zwischen Unterhaltung, Dokumentation und Propaganda hielten Filme in schwarz-weißen und monochrom kolorierten Bildern das Elend fest, dem der Kontinent im Jahr 1914 noch mit großem Jubel entgegenfieberte.
Eine Zeit vor der Moderne
Mit eben diesem Jubel beginnt auch Peter Jacksons „They Shall Not Grow Old“. In den klassischen Schwarz-weiß-Aufnahmen der Edwardianischen Epoche umarmen sich die Menschen aus Freude über den lang erwarteten Kriegsausbruch. Die Bilder markieren eine Zeit vor der Moderne. Das Feld wird noch mit dem Pferdepflug bestellt, und der industrielle Fortschritt, der das Leben schon vollständig zu bestimmen scheint, hat gerade erst das Militär erreicht.
Die Männer, die aus dem Off erzählen, sind zu dieser Zeit 15, 16 oder 17 Jahre alt. Den Krieg kennen sie nur aus Erzählungen; als großes Abenteuer, das in kleinen Scharmützeln mehr lebende Helden als Leichen auf dem Schlachtfeld produziert. Das Surren eines imaginierten Filmprojektors, das Jackson über die Schwarz-weiß-Bilder der Mobilisierung legt, begleitet die große Vorfreude der Europäer auf den kommenden Krieg, auf jenen Irrglauben, der Millionen Menschen das Leben kostet.
„They Shall Not Grow Old“ zeichnet diesen Weg chronologisch nach. Er sortiert Routinen, Rituale und Kuriositäten wie in einem Katalog für Kriegsgeschichte. Die Off-Stimmen aus zahlreichen Interviews, die in den 1960er-Jahren geführt wurden, kittet Jackson nach der gleichen Logik zusammen. Einzelne Sätze werden von unterschiedlichen Stimmen variiert, wiederholt und vervollständigt. Der Kriegsbericht wird im Schnitt von der individuellen zur kollektiven Erfahrung. Als ein ununterbrochener Strom gebündelter Einzelerzählungen steuert der Film auf den Spuren der Historie auf Frankreich zu. An der Westfront vollführt die Inszenierung schließlich gemeinsam mit dem Krieg den Sprung in die Moderne: Während die bis dahin nahezu unerprobte Militärtechnologie die französischen Landschaften mit Blut, Körperteilen und Kadavern von Mensch und Tier pflastert, weiten sich die Filmaufnahmen ins Cinemascope-Format, die Frontlandschaft wird mit Farbe überzogen.
Der entschleierte, brutale Krieg
Es ist eine so konzeptuell einfache wie technisch komplizierte Prämisse, die der Regisseur Peter Jackson mit „They Shall Not Grow Old“ umzusetzen versucht: den Ersten Weltkrieg ohne den Schleier des nostalgischen Schwarz-weiß in all seiner Grausamkeit zu zeigen und seinen Opfern mit der Farbe ihr menschliches Gesicht zurückgeben.
Das aufwändig restaurierte Material aus dem Imperial War Museum in London gibt den Blick auf die Westfront hier nicht nur erstmals in Farbe wieder, sondern vereinheitlicht auch die von den Handkurbeln der damaligen Kameramänner ungleichmäßig aufgezeichnete Filmgeschwindigkeit. Stehen die Bilder für sich, geht Jacksons Prämisse voll auf: Artillerie- und Schrapnell-Explosionen wirken plastischer, die mit Schlamm gefüllten Gräben schmutziger und die Leichen tragischer.
Am stärksten wirkt der Kontrast zum Schwarz-weiß-Film dort, wo das Artilleriefeuer die Wiesen und Wälder noch nicht in die aus Fotografien und Geschichtsbüchern bekannte Mondlandschaft verwandelt hat, sondern noch als ursprüngliche Natur erhalten ist. Eines dieser Bilder zeigt eine vom Bombardement zerfetzte Nachschub-Einheit. Dunkelrot quellen Blut und Eingeweide aus den zerschossenen Körpern von Menschen und Pferden, die inmitten einer mit feuerroten Mohnblumen gesprenkelten, fast unberührten Wiese liegen.
Klangteppich simulieren Trommelfeuer
Es ist ein Bild, das in „They Shall Not Grow Old“ wie ein singulärer Glücksfall wirkt. Was hier das Eindringen der modernen Kriegstechnologie in die ursprüngliche Schönheit eines naiven Europas zeigt, steht den restlichen Film über aber im Dienst einer strengen Katalog-Dramaturgie. Oft illustriert das restaurierte Filmmaterial nur den temporeich vorgetragenen Heeresbericht. Das Sounddesign verziert das, was von den Veteranen beschrieben oder im Bild gezeigt wird. Klangteppiche simulieren entferntes Trommelfeuer, nachgesprochene Befehle und Dialogfetzen ergänzen die sichtbaren Lippenbewegungen. Zu einem künstlich ins Wanken gebrachten Standbild, das ein paar Soldaten auf dem Latrinenbalken zeigt, gesellt sich der passende Laut berstenden Holzes.
Dort, wo es kein Material mehr zu den Geschichten der Veteranen gibt, bricht das ohnehin wacklige Konzept des Films gänzlich zusammen. Erzählungen von schweren Verlusten und dem Tod unzähliger Kameraden hakt Jackson in der Montage ab, indem er den entstellten Kadavern das lächelnde Gesicht eines anderen Soldaten zuordnet oder schlicht mit schnellen Kamerabewegungen die falschen Versprechen der Rekrutierungspropanda überfliegt.
Derartige Stilisierungen erzeugen ein künstliches Echo, das die eigentliche Erzählung und die Möglichkeiten des restaurierten Archivmaterials schlicht überlagert. Peter Jackson hat mit „They Shall Not Grow Old“ der Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs eine neue technische Dimension hinzugefügt – nur eben keine neue Perspektive.
Eine Kritik von Karsten Munt