Happy End

  Freitag, 08. Dezember 2017 - 20:30 bis - 23:15

Eintritt: 5,00 €

Happy End
Österreich 2017
Kinostart: 12. Oktober 2017
108 Minuten
FSK: ab 12; f

Regie/Drehbuch: Michael Haneke (Das weiße Band, Liebe)
Kamera: Christian Berger
Schnitt: Monika Willi

Darsteller:
Isabelle Huppert (Anne Laurent), Jean-Louis Trintignant (Georges Laurent), Mathieu Kassovitz (Thomas Laurent), Fantine Harduin (Ève Laurent), Franz Rogowski (Pierre Laurent), Laura Verlinden (Anaïs Laurent), Aurélia Petit (Nathalie), Toby Jones (Lawrence Bradshaw), Hille Perl (Gambistin), Nabiha Akkari (Jamila), Hassam Ghancy (Rachid)
Warner, 

Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant sind mit "Happy End" für den Europäischen Filmpreis nominiert, der am 9. Dezember verliehen wird.

Filmhomepage, Wikipedia, EPD-FilmProgrammkino.de, alle Daten zum Film auf Filmportal.de

Kritik von Thomas Assheuer in der Zeit: Warum ist Europa unglücklich? Michael Haneke gibt mit seiner schwarzen Komödie "Happy End" eine großartige Antwort
Kritik von Andreas Kilb in der FAZ: Gegen Unglück hilft kein Idyll
Kritik von Philipp Stadelmaier in der Süddeutschen Zeitung: Eine Ahnung vom Ende weißer Privilegien
Kritik von Dominik Kamalzadeh im Wiener Standard: Requiem für eine verlorene Elite  

The Guardian: Michael Haneke's satanic soap opera of pure sociopathy


Interview in der HAZ: Warum sind Ihre Filme so gnadenlos?

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Als seine Mutter durch eine Überdosis Tabletten ins Koma fällt, zieht ein zwölfjähriges Mädchen zur großbürgerlichen Familie seines Vaters. Hinter deren Fassade offenbart sich ein Sumpf aus Lügen und moralischer Kälte: Während der Vater seine Frau betrügt und seine Schwester und deren Sohn eine drohende Klage gegen das Familienunternehmen bekämpfen, will der greise Patriarch mit allen Mitteln sterben. Einmal mehr attackiert Michael Haneke die Bourgeoisie wegen ihrer gesellschaftlichen Emotionslosigkeit. Dabei gelingen ihm effektvolle Momente in der Tradition eines Dramas von Claude Chabrol.
Sehenswert ab 14
Alexandra Wach, FILMDIENST 2017/21

Trailer (97 Sekunden):


ausführliche Kritik Filmdienst
Schon die ersten Smartphone-Bilder sind eine Kampfansage. Ein Mädchen filmt ihre Mutter im Badezimmer und stellt die Aufnahme in ein soziales Netzwerk. Sie gibt Befehle für die scheinbar mechanischen Bewegungen am Waschbecken und kommentiert erschreckend kalt das ewige Gejammer, verärgert über die nicht endenden Depressionen der „Alten“, die sie dazu animiert hätten, deren Tabletten dem nun toten Hamster zu verabreichen. Zwei Bildschirmbilder weiter liegt die Mutter keuchend auf einem Bett und stirbt. Ihre Tochter tippt: „Wie leicht es ist, jemand ruhig zu machen, ich rufe jetzt die Rettung, jetzt ist sie nicht mehr blöd und weiß alles besser.“

Nach diesem vorbildlichen Haneke-Prolog weiß man, womit zu rechnen ist. Die Institution Familie, zumal aus dem bourgeoisen Industriellen-Milieu, bietet keinen Schutzraum, sondern entpuppt sich als Schlachtfeld enttäuschter Erwartungen und fehlgeleiteter Hilfeschreie. Gefilmt wird dieses Biotop mit einer keinerlei Emotion vortäuschenden Kamera, unterbrochen von Schwarzblenden, die das nächste zwischenmenschliche Desaster einläuten. Uneindeutiges ist Mangelware. Das Plakative soll zum Zwecke der Belehrung triumphieren. Denn natürlich bleibt Haneke immer noch Moralist genug, um nicht nur des Verstörens wegen seine Figuren hemmungslos anzuschwärzen.

Warum das die Erwachsenenwelt zwanghaft filmende Mädchen so grausam ist, versteht man nicht auf Anhieb, auch wenn man es seit „Benny’s Video“ und „Funny Games“ besser wissen sollte. Der Vater holt die 13-Jährige nach dem „Selbstmord“ seiner Ex-Frau immerhin zu sich und kümmert sich mit seiner zweiten Frau liebevoll um das sichtlich verstörte Kind. Als Chefarzt fehlt ihm eigentlich die Zeit für eine intensive Betreuung, zumal er heimlich ein Verhältnis mit einer Gambistin hat; und auch sein greiser Vater unternimmt alles, um mit wiederholten Suizidversuchen auf sich aufmerksam zu machen.

Mathieu Kassovitz ist in dieser für ihn ungewöhnlichen Rolle nicht zu beneiden. Er muss vor Besorgnis für sein gefährdetes Kind zerfließen und zugleich den ausschweifenden Online-SM-Erotomanen mimen, was ihm mit superber Unschuldsmine stets gelingt. Das gilt weniger für Isabelle Huppert. Sie spielt seine Schwester, die sich mit einem missratenen Sohn herumplagt, der den familiären Baukonzern nicht zu führen vermag. Ein Erdrutsch mit Todesfall könnte vor Gericht ihre gesamte Existenz bedrohen. Den Filius aber animiert die bedrohliche Situation nicht etwa dazu, über sich hinauszuwachsen. Er vergräbt sich im Bett und lässt seine umso energischere Mutter den Karren aus dem Dreck ziehen. Dass Isabelle Huppert eine so zielgerichtete wie herzlose Geschäftsfrau perfekt verkörpern kann, hat sie oft genug bewiesen. Nur wo bleibt dabei für alle Beteiligten die Herausforderung?

Die Ausgangskonstellation des Films könnte nicht ritualisierter geraten. Ein Clan wie aus dem Chabrol-Bilderbuch, ansässig in der Hafenstadt Calais, wo das paradiesisch blaue Meer mit den Abgründen der mehr oder weniger lebensmüden Bewohner kollidiert. Jean-Louis Trintignant sorgt in dieser Tragik, Komik, Sex und Tod unaufhörlich mixenden „Seifenoper“ für eine Art Fortsetzung von „Liebe“, indem er seiner Enkelin, die ebenfalls irgendwann vergeblich aus dem Leben zu scheiden versucht, eine Beichte ablegt. Er habe seine dahinsiechende Frau mit einem Kissen erstickt. Die Welt, so wie sie jetzt ist, ekele ihn an. Nun solle sie ihm dabei helfen, sein tristes Rollstuhldasein zu beenden.

Reminiszenzen an „Caché“ tauchen beiläufig in der Gestalt maghrebstämmiger Hausbediensteter und schwarzafrikanischer Flüchtlinge auf, die ein pompöses Festbankett mit ihrer unangekündigten Anwesenheit verstören. Doch die Eindringlinge verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Es interessiert sich nicht wirklich jemand für sie. Auch nicht der Sohn, der sie nur aus Wut und Selbsthass eingeladen hat, um seine Kränkung durch den Clan zu kompensieren.

Es macht Haneke sichtlich Vergnügen, sein eigenes Ideenreservoir zu plündern, es grotesk zu verzerren und an die eigenen Grenzen zu drängen. Hinter förmlich korrektem Miteinander verbirgt sich Gleichgültigkeit und Distanz, Kommunikationsgeräte ersetzen Nähe, man rettet den anderen nur, weil die statussichernde Fassade des Erfolgs aufrechterhalten werden soll.

Die Jungen und die Alten übertreffen sich in zynischer Abwehr, hier und da fließen Tränen, Schuldgefühle machen sich Luft, um sogleich mit verbaler Gewalt mitfühlend weggewischt zu werden. Mit seinen 75 Jahren poliert Haneke trotzig seinen Markenkern, lässt die Hüllen seiner Monster-Zeitgenossen fallen und sendet die Botschaft: schlimmer geht immer. Damit hat er wohl auch Recht. Das beweist unsere aus den Rudern laufende Gegenwart ebenso wie das urkomische Filmende, wenn die eine Generation eine gar nicht gewollte Hilfsaktion unternimmt, während die andere regungslos und doch auch angenehm stimuliert das Puppentheater filmt. Für diese überklare Botschaft liebt man den österreichischen Menschensezierer, auch wenn er der Kraft der Wiederholung nicht allzu lange vertrauen sollte.

Alexandra Wach, FILMDIENST 2017/21