Seniorenkino: Antonias Welt
Ort: Alte Exerzierhalle am Neuen Rathaus
Einlass: ab 14.30 Uhr
Beginn: 15.30 Uhr
Eintritt: 4,00 €
Kaffee und Kuchen für 2,50
"Antonia" ist nicht nur Oscargwinner und als bester Film 1996 ausgezeichnet worden, sondern ein Film, nach dem "man" zufrieden, beglückt und beseelt das Kino verlässt.
Übrigens: "Antonia" lief erstaunlicherweise bisher nicht im TV.
Antonia's Line
Familiensaga Niederlande 1995
Kinostart: 6. Juni 1997
93 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Regie und Drehbuch: Marleen Gorris
Kamera: Willy Stassen
Musik: Ilona Sekacz
Schnitt: Michiel Reichwein, Wim Louwrier
Darsteller: Willeke van Ammelrooy (Antonia), Els Dottermans (Danielle), Veerle van Overloop (Therese), Thyrza Ravesteijn (Sarah), Mil Seghers (Krummfinger), Jan Decleir (Bauer Bas), Jan Steen (Lippen Willem)
Verleih: MFA, 1:1,85
Oscar 1996, Bester fremdsprachiger Film
Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film" ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrt eine Holländerin mit ihrer Tochter in ihr Heimatdorf zurück, um nach dem Tod ihrer Mutter den Hof zu bewirtschaften. Als sie ein halbes Jahrhundert später ihr Ende nahen fühlt, läßt sie wichtige Ereignisse ihres bewegten Lebens Revue passieren. Kraftvolle, vitale Familiensaga über vier Generationen, die Geschichte einer unabhängigen Frauendynastie, mythische Utopie und provozierendes Gegenbild in einem. Durch den märchenhaft-erzählerischen Charakter werden wichtige Grundanliegen der Emanzipationsbewegung anschaulich ins Gedächtnis gerufen. - Sehenswert ab 12.
Sehenswerter englischsprachiger Trailer - der Film läuft bei uns natürlich auf deutsch.
ausführliche Kritik Filmdienst:
Der Weltkrieg ist vorbei, als Antonia, eine gestandene, resolute Frau Anfang Vierzig, in ihr holländisches Heimatdorf zurückkehrt, um ihre Mutter zu begraben. Hier, abseits der gärenden Städte, herrschen seit Jahrhunderten die selben Gesetze: Die Jahreszeiten und das katholische Kirchenjahr diktieren den Rhythmus des Lebens, und die bäuerlichen Sitten und Gewohnheiten sorgen dafür, daß ein Zugezogener wie Bauer Bas auch nach 20 Jahren immer noch als Neuling gilt. Die eigensinnige Städterin, die zusammen mit ihrer Tochter Danielle den Hof ihrer Vorfahren bewirtschaften will, läßt man mit derselben Gleichgültigkeit gewähren wie eine schlechte Ernte oder ein behindertes Kind hingenommen wird. Selbst als Antonias Anwesen allmählich zur Anlaufstelle für Außenseiter wird, auf dem die geistig behinderte und von ihrem Bruder mißbrauchte Deedee ebenso Aufnahme findet wie der Dorftrottel Lippen Willem, nimmt kaum jemand Anstoß daran. Ein kurzer Aufstand in Gestalt geharnischter Worte von der Kanzel herab bricht erst los, als Danielle, die inzwischen Malerei studiert hat, sich ein Kind, aber keinen Ehemann wünscht und damit bei ihrer Mutter auf Verständnis und tatkräftige Hilfestellung stößt. Der Prediger aber ist selbst nur ein Sünder und tappt blindlings in die Falle seiner Doppelmoral, die Bauer Bas geschickt arrangiert hat. Ein Dreivierteljahr später wächst mit der blonden Therese nicht nur die dritte männerlose Generation auf dem Hof heran, sondern findet auch der einsame Krummfinger, ein depressiver Grübler im Banne Schopenhauers, endlich eine vertraute Seele, mit der er stündenlang diskutieren kann. Thereses mathematisches wie musikalisches Genie wird bald erkannt und gefördert, und binnen kurzem ist das Mädchen ihren Lehrern überlegen. Kaum 20jährig lehrt sie als Dozentin an der Universität. Obwohl mehr in der Welt der Noten und Zahlen als in irdischen Sphären zuhause, meldet sich auch bei ihr während eines Familientreffens an Antonias großer Tafel Nachwuchs an: Sarah, ein feuerroter Wuschelschopf, die viel Charakter und Temperament ihrer lebensklugen Urgroßmutter erben wird.Sarah wird auch die erste sein, der die inzwischen 90jährige Antonia von ihrem nahen Tod erzählt, nachdem sie eines Morgens nach einem langen Blick in den Spiegel befindet, daß es nun genug sei. Mit dieser Sequenz beginnt Marleen Gorris' außergewöhnliche Chronik einer unabhängigen Frauendynastie, ein feministisches "Märchen", das dazu angetan ist, die fundamentalen Anliegen der Emanzipationsbewegung neu ins Gedächtnis zu rufen. "Meine fünf Söhne brauchen eine Mutter", versucht Witwer Bas sein Werben um Antonias Hand zu begründen, von der er Arbeit, Anerkennung und Zuneigung, schließlich sogar auch Liebe, nur nicht das Ja-Wort erhält: "Ich aber deine Söhne nicht", entgegnet sie mit entschiedenem Lächeln; ein Schlüsselsatz, der das bürgerlich-patriarchal konstruierte Sozialgefüge in seinem Kern aufsprengt. Die holländische Regisseurin, in ihren ersten Filmen ironisch-sarkastisch auf der Spur männlichen Wahns, entwirft hier spielerisch das utopische Gegenbild eines weiblich dominierten Universums, in dem es durchaus leibliche wie geistige Elternschaft, aber nicht mehr die tradierten Rollen des "Vaters" oder der "Mutter" gibt. Geschickt untergräbt der episodenhafte Rückblick klassische Argumente männlicher Herrschaft wie Kraft, Wille oder Begabung, wenn Antonia ihre Frau als Bäuerin steht, Danielle von der Muse, Therese vom Genius der Wissenschaft geküßt wird und sich in der erdverbundenen, sprachverliebten Sarah vielleicht sogar eine spirituelle Ebene andeutet. Im Bild der fröhlichen Tafelrunde, an der Begabte wie Behinderte, Männer wie Frauen, Kinder und Greise einträchtig Platz finden, gipfelt diese humorvolle, stets mit einem leisem Augenzwinkern entworfene Vision einer anderen Welt, in der die Unterschiede zwar nicht aufgehoben, aber ihrer Herrschaftsfunktion beraubt sind.Getragen wird dieses Typen- und Charakterepanoptikum von einem sorgfältig ausgewählten Schauspielerensemble, das mit Leidenschaft und großer Hingabe agiert, wobei Willeke van Ammelrooy als großherzige, schlaue Matriarchin souverän im Mittelpunkt steht. Kamera und Ausstattung verstärken die in den Figuren angelegten Eigenheiten, wodurch noch eine Gestalt wie die immer fröhliche Letta, die vor lauter Freude an der Schwangerschaft ein Kind nach dem anderen zur Welt bringt und im entlaufenen Kaplan das passende Gegenstück findet, nicht zur bloßen Karikatur gerät. Selbst die traurige Erscheinung des misanthropen Philosophen rutscht nicht in die Rolle des reuigen Statthalters einstiger Herr-lichkeit ab, wie auch die anderen komischen Käuze dieses idealisierten Kosmos nie zur Staffage geraten oder zu Stichwortgebern degradiert werden.Wie in jedem Mythos finden sich auch in Gorris' Welt nur am Rande Einsprengsel der historischen Gegenwart, während sich das Geschehen in einer losgelösten Raum-Zeit-Konstellation, in Utopia eben, entfaltet. Dies erklärt manchen märchenhaften Zug, die Verwendung von Elementen aus dem Repertoire des magischen Realismus oder auch die weitgehende Vernachlässigung der Ergebnisse soziologisch-feministischer Herrschaftsanalysen und ihrer Theoreme. In ihrem Bemühen, ein positives Gegenbild zu entwerfen, in dem Freiheit und Selbstbestimmung nicht mehr bloß Zielvorstellungen, sondern greifbare Wirklichkeit sind, gerät Gorris allerdings ein zentrales Element, das Ende des Daseins, aus dem Griff. Obwohl Tod und Sterben in vielen Szenen wie selbstverständlich gegenwärtig sind und Krummfinger schließlich am Denken und der Menschheit verzweifelt, fehlt in der Frauensaga gerade die Erfahrung radikaler Endlichkeit. Antonias Credo, dem Leben dadurch Sinn zu verleihen, daß man es einfach lebt, schließt zwar auch ihr Ende mit ein, das sie, im biblischen Alter, lebenssatt und zufrieden für gekommen hält. Vom schockierenden Schwindel des Nichts aber, dem Stachel des Todes, spürt man in den auch dramaturgisch zu kurz geratenen Todesszenen anderer Figuren nur einen leisen Anflug, wie auch menschliches Scheitern, Schuld oder das Tragische nicht präsent sind. Ein blinder Fleck, den der Film mit seinem Feminismus teilt. Dem umwerfenden Charme und der visionären Kraft von Marleen Gorris vitaler Geschlechterfabel tut dies jedoch keinen Abbruch.
Josef Lederle