The Dinner

  Freitag, 04. August 2017 - 20:30 bis - 22:40

Eintritt: 5,00 €


USA 2017
Kinostart: 8. Juni 2017
121 Minuten
FSK: ab 12; f

Regie/Drehbuch: Oren Moverman
Vorlage: Herman Koch (Roman "Het Diner" / "Angerichtet")
Kamera: Bobby Bukowski
Musik: Elijah Brueggemann
Schnitt: Alex Hall


Darsteller:
Richard Gere (Stan Lohman), Laura Linney (Claire Lohman), Steve Coogan (Paul Lohman), Rebecca Hall (Katelyn Lohman), Chloë Sevigny (Barbara Lohman), Charlie Plummer (Michael Lohman), Seamus Davey-Fitzpatrick (Rick Lohman), Miles J. Harvey (Beau Lohman), Michael Chernus (Dylan Heinz), Adepero Oduye (Nina)
Tobis, Flat

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Kurzkritik Filmdienst
Zwei gutsituierte Brüder und ihre Ehefrauen treffen sich in einem Nobelrestaurant, um über ein heikles Thema zu diskutieren: Die Söhne beider Paare haben ein Verbrechen begangen, nun müssen die Eltern entscheiden, ob sich die Jungen der Polizei stellen sollen oder ob alles vertuscht werden soll. Die Verfilmung des niederländischen Romans „Angerichtet“ von Herman Koch pendelt zwischen Restaurant-Szenen und Rückblenden und breitet den moralischen Konflikt vielschichtig zwischen Satire und Drama aus. Dabei überträgt die Inszenierung den Stoff auf US-amerikanische Verhältnisse und deutet ihn als Abgesang auf die liberale Elite des Landes.
Sehenswert ab 16.
Felicitas Kleiner, FILMDIENST 2017/12


Trailer (148 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Geisteskrankheit spielt eine wichtige Rolle in „The Dinner“ von Oren Moverman, der auf dem Roman „Angerichtet“ des niederländischen Schriftstellers Herman Koch fußt. Darin leidet ein ehemaliger Geschichtslehrer an einer psychischen Krankheit, die ihn emotional instabil macht. Die Inszenierung überträgt diese Instabilität aber auch auf die Dramaturgie. Er habe einen Film machen wollen, der seine eigenen „psychischen Probleme“ habe, hat der aus Israel stammende, schon lange in Amerika arbeitende Filmemacher kundgetan. Wie der Ex-Pädagoge Paul hat auch der Film zwischendurch einen regelrechten nervösen Zusammenbruch. Dieser findet auf bedeutsamem Boden statt: nahe der Kleinstadt Gettysburg in Pennsylvania, dort, wo es im Juli 1863 zu einer der verheerendsten Schlachten des amerikanischen Sezessionskriegs kam. Die sogenannte „Gettysburg Address“, mit der Abraham Lincoln im Spätjahr 1863 einen Soldatenfriedhof einweihte und die Einheit der noch jungen USA beschwor, gilt als eine Art zweite Staatsgründung. In „The Dinner“ gibt es eine Szene, die nicht aus dem Roman stammt. Darin besuchen Paul und sein Bruder Stan, ein erfolgreicher Politiker, das zur Gedenkstätte umgewidmete Schlachtfeld. Die Inszenierung nutzt sie als Rückblende, um das konfliktreiche Verhältnis der Brüder zu beleuchten. Wie eine schlecht verheilte Wunde brechen ihre seit Kinderzeiten schwelenden Konflikte auf, bis Paul den Bruder mit einem wütenden „Fuck you!“ auf den Treppen des Memorials sitzen lässt.

Allerdings macht die Inszenierung, die Echos und Erinnerungsbilder der Schlacht heraufbeschwört, auch klar, dass es hier um mehr als um eine psychologische Vertiefung der Figuren geht. Moverman interessiert sich nicht nur für die Brüche in einer Familie des privilegierten Bildungsbürgertums, sondern für die inneren Brüche der USA. Man kann „The Dinner“ durchaus als eine Art Anti-„Gettysburg Address“ über eine noch immer in sich gespaltene Nation lesen, deren gesellschaftliche Elite längst den Kontakt zur Bevölkerung verloren hat.

Zu den weniger privilegierten Teilen der Bevölkerung gehört eine Obdachlose, die im verglasten Raum um einen Bankautomaten übernachtet. Dort stolpern die halbwüchsigen Söhne von Stan und Paul nach einer Party über die Schlafende und machen sich einen Spaß daraus, sie zu triezen, was grausam eskaliert. Das wird zum Anlass, dass Paul und Stan sich, begleitet von ihren Ehefrauen Claire und Katelyn, zum Dinner in einem Nobelrestaurant treffen: Die Paare müssen klären, wie sie mit dem Verbrechen ihrer Sprösslinge umgehen wollen. Sollen sie dafür sorgen, dass die Jungs Verantwortung übernehmen und sich der Polizei stellen? Oder sollen sie das Geschehen unter den Teppich kehren, um ihre Söhne zu beschützen? Eine Frage, über der sich das Verhältnis zwischen Stan und Paul weiter verschlechtert, zumal Stan die Diskussionen immer wieder unterbricht, um sich mit seiner Assistentin abzusprechen oder zu telefonieren, weil just in dieser Nacht eine Abstimmung im Kongress vorbereitet werden muss, in der über einen von Stan eingebrachten Gesetzesentwurf entschieden wird.

Diese heikle moralische Frage ausgerechnet im Rahmen eines Nobelrestaurants klären zu wollen, wo man immer wieder von Horden distinguierter Kellner unterbrochen wird, die Gang um Gang sautierte, gegrillte und karamelisierte Köstlichkeiten auftragen, ist eine bewusst absurde Prämisse, und wie die Romanvorlage kostet auch der Film die satirische Reibung zwischen dem luxuriösen Ambiente und dem zunehmend aus der Rolle fallenden Quartett genüsslich aus. Der schwarzhumorig-sardonische Ton dieser Passagen reibt sich wiederum an dem bitteren Ernst von dokumentarisch anmutenden Montagen, die nach und nach enthüllen, was die Söhne in jener verhängnisvollen Nacht eigentlich getan haben – und vor allem, mit welch gnaden- und reuelosem Zynismus sie es getan haben.

Zudem gibt es auch andere Rückblenden wie etwa zu der Szene in Gettysburg, die das Verhältnis und die Geschichte der beiden Brüder beleuchten, die es dem Betrachter auf hinterhältige Weise immer schwerer machen, eine eindeutige Haltung zu den Figuren zu finden.

Aus all diesen Elementen erwächst ein Film, der streckenweise an süffig-lakonische Kammerspiele wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“  oder „Der Gott des Gemetzels“ erinnert, jedoch deutlich sperriger ausfällt. Filmkritiker Peter Travers hat Movermans Filme sehr treffend mit Sprengfallen verglichen; nach der Explosion bleibe man mit „Splittern“ zurück, die immer tiefer eindringen und die man nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommt. Für Movermans Aneignung von „Angerichtet“ trifft das voll und ganz zu: Sie verwandelt den Roman in einen Abgesang auf die liberale US-Elite, wie er in der Ära „Trump“ nicht treffender sein könnte.

Felicitas Kleiner, FILMDIENST 2017/12