Auf einmal

  Freitag, 09. Dezember 2016 - 20:30 bis - 22:20

Eintritt: 5,00 €

Deutschland 2016
Kinostart: 6. Oktober 2016
113 Minuten
FSK: ab 12; f

Produktion: Fabian Massah, Asli Özge, Frans van Gestel, Arnold Heslenfeld, Simon Arnal, Carole Scotta, Georges Schoucair, Laurette Schillings

Regie/Drehbuch: Asli Özge 
Kamera: Emre Erkmen
Schnitt: Muriel Breton, Asli Özge
Alle Nominierungen und Auszeichnungen auf IMDB

Darsteller:
Sebastian Hülk (Karsten), Julia Jentsch (Laura), Hanns Zischler (Klaus), Sascha Alexander Gersak (Andrej), Luise Heyer (Judith), Natalia Belitski (Anna), Lea Draeger (Caro), Christoph Gawenda (Stephan), Atef Vogel (Anwalt)
MFA über Filmagentinnen, 2W8.000
 

Filmhomepage, Programmkino.de, EPD-FilmFilmgazette (8 von 10 Sternen)
alle Daten zum Film auf Filmportal.de

FAZ: Die Tote am Ende der Party
Tagesspiegel: Absturz der Wohlstandskinder
Die Zeit: Viele gute Menschen und eine Tote - Die Regisseurin Aslı Özge hat einen der interessantesten Filme des Jahres gedreht.

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Am Ende einer langen Partynacht ist ein junger Bankangestellter mit einer unbekannten Frau allein, von der er sich magisch angezogen fühlt. Doch plötzlich bricht sie tot zusammen. Anstatt den Notarzt zu rufen, läuft der Mann zur nächsten Ambulanz, die nachts allerdings geschlossen hat. Ein Fehlverhalten, für das ihn seine Umwelt bitter bestraft. Das packende Drama blickt als eine Mischung aus Krimi, beklemmendem Psychodrama und genauer Kleinstadtstudie hinter die Kulissen einer heuchlerischen Gesellschaft. Mit stilistisch ausgefeilten Bildern fängt sie die Klaustrophobie ein, die dem perfekt besetzten Hauptdarsteller zunehmend die Luft abschnürt und ihn selbst in ein Wesen verwandelt, das sich nahtlos in die Scheinheiligkeit seiner Umwelt einfügt.
Ab 14. - Michael Ranze

EPD-Film:
Zunächst ein leiser Thriller über Ohnmacht, Misstrauen und die soziale Enge einer Kleinstadt, nimmt Aslı Özges Film einige überraschende Wendungen und mündet in ein bravouröses bitterböses Finale. - Wer war die junge Frau, die sich in Karstens Party geschmuggelt hat und dann tot zusammengebrochen ist? Der erste deutschsprachige Spielfilm von Asli Özge (»Men on the Bridge«) erzählt meisterhaft eine mysteriöse Geschichte aus der bürgerlich-spießigen deutschen Provinz
★★★★ (4 von 5 Sternen) - Patrick Seyboth


Trailer (139 Sekunden):



Das Team von "AUF EINMAL" im Gespräch: Asli Özge mit Julia Jentsch, Sebastian Hülk und Louise Heyer
Trailer (11 Minuten):


ausführliche Kritik Filmdienst
Karsten Böhm hat es geschafft: Der junge Mann aus gutem Haus hat einen sicheren und verantwortungsvollen Job in einer Bank, ist mit der schönen Laura liiert und wird von einer lebendigen Clique aufgefangen. Die Kleinstadt, in der er lebt, Altena im Sauerland, strahlt Gemütlichkeit und Schutz aus. Hier passiert nichts Aufregendes oder Gefährliches. Umso unvorbereiteter ist Karsten für das, was dann passiert. In seiner Wohnung hat er eine Party gefeiert. Alle Gäste sind bereits gegangen – bis auf Anna. Karsten ist fasziniert von der geheimnisvollen jungen Frau, die er allerdings gar nicht eingeladen hat. Scheinbar ist sie zusammen mit anderen gekommen. Doch plötzlich bricht Anna tot zusammen. Anstatt einen Notarzt zu rufen, läuft Karsten in Panik zur Ambulanz eines nahegelegenen Krankenhauses.


Mit den Bildern seiner nächtlichen Odyssee, die ihn über den serpentinenähnlichen Aufgang zur Ambulanz führt, beginnt der Film, und sie werden später, aufgezeichnet von einer Überwachungskamera, noch häufiger wiederholt. Doch die Ambulanz hat geschlossen, und plötzlich ist nichts mehr so, wie es vorher war. Die Polizei ist misstrauisch, zumal keiner der Gäste Anna kannte; Laura geht auf Distanz zu Karsten, ihre beste Freundin Judith wittert sogar eine Affäre. Damit nicht genug: Karstens Vater sorgt sich um seinen guten Ruf und beauftragt einen Anwalt, zumal die Familie der Toten Anklage erhebt. Karstens Chef hingegen fürchtet die Publicity und versetzt den jungen Mann erst mal in ein Büro im Keller – ohne Publikumsverkehr. Der junge Mann muss hilflos mit ansehen, wie ihm sein Leben entgleitet.

Spannung aus der Provinz. In dem Film der türkischstämmigen Regisseurin Asli Özge geht es allerdings nur an der Oberfläche um so etwas wie einen Kriminalfall. Mord? Totschlag? Unterlassende Hilfeleistung? Was geschah wirklich in der Wohnung? Der Zuschauer entdeckt das Geheimnis zusammen mit den Figuren. Das Unbehagen an dem Charakter, das Rätsel seines unbedachten Handelns, die Drohung eines unabwendbaren Desasters lässt einen nicht mehr los und sorgt bis zum Schluss für Spannung. Warum hat Karsten im entscheidenden Moment nicht sofort den Notarzt gerufen? Ein Fehlverhalten, das in einer von Bergen und Wäldern umgebenen Kleinstadt, die darum immer auch wie ein Gefängnis wirkt, sofort auffällt und vielfältige Auswirkungen hat – auf Familie, Berufswelt, Freunde, Polizei und Gerichte, die am Schluss die Klage verhandeln.

In der Provinz ist es stets auch von Bedeutung, wie die Umwelt reagiert und was die anderen denken. Die Ansprüche von Freunden, Eltern und Kollegen lösen einen Druck aus, der Fehler bedingt, aber auch Gegenwehr provoziert: Alles zu verlieren, ist keine Option.

Dem Film ist ein Shakespeare-Zitat aus „Hamlet“ vorangestellt: „Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.“ Es geht also um die Scheinheiligkeit der unmittelbaren Umgebung, die anderen Schuld zuweist und für sich selbst Moral und Gerechtigkeit reklamiert. Der Film blickt hinter die Kulissen einer heuchlerischen Gesellschaft, die auf Ansehen und Image bedacht ist.

Die Melancholie des Films fängt die Kamera mit ausdrucksstarken, stilistisch ausgefeilten Bildern der engen klaustrophobischen Gassen Altenas, aber auch der bedrückend wirkenden Landschaft elegant ein. Sie teilt sich aber auch in der Farbgebung mit. Rostbraune und gelbrote Blätter künden vom Ende des Herbsts, von Wechsel und Veränderung. Das macht sich vor allem an Sebastian Hülk, dem perfekt besetzten Hauptdarsteller, fest. Von unsicher und introvertiert über wehleidig und passiv bis wütend und entschlossen legt er alle Schichten der Figur bloß und macht glaubwürdig ihre Wandlung deutlich. Am Schluss ist er ein anderer geworden – zu seinem eigenen Erschrecken.

Michael Ranze, FILMDIENST 2016/20