Sture Böcke (Hrútar)
Eintritt: 5,00 €
Island 2015
Kinostart: 31. Dezember 2015
93 Minuten
FSK: ab 6; f
Regie & Drehbuch: Grímur Hákonarson
Kamera: Sturla Brandth Grøvlen
Musik: Atli Örvarsson
Schnitt: Kristján Lodmfjörd
Darsteller: Sigurdur Sigurjónsson (Gummi), Theodór Júlíusson (Kiddi), Charlotte Bøving (Katrin), Jon Benonysson (Runólfur), Gunnar Jónsson (Grímur), Thorleifur Einarsson (Sindri), Sveinn Ólafur Gunnarsson (Bjarni), Ingrid Jónsdóttir (Eygló), Jörundur Ragnarsson (Villi), Viktor Már Bjarnason (Finnur)
Schafe und Schäfer vom Aussterben bedroht
Wikipedia, Programmkino.de, epd-Film, Filmgazette
Spiegel online, Der Standard
Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film" ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Als in einem abgelegenen Tal in Island die Schafseuche ausbricht, sollen alle Tiere getötet werden. Das betrifft auch die Herden zweier eigenbrötlerischer Brüder, die seit 40 Jahren kein Wort miteinander gesprochen haben und auch jetzt noch auf jeweils eigene Weise mit der Bedrohung ihrer Existenz fertig werden wollen. Eine irrwitzige, von zarter Melancholie grundierte Tragikomödie über die Einsamkeit. Die Inszenierung mischt Poesie und Weltschmerz in die rauen Landschaftsbilder und rückt den sich aus der Ferne belauernden Brüder mit starren Tableaus und frontalen Porträts auf den Leib. - Ab 14.
Trailer :
ausführliche Kritik Filmdienst
Jahr für Jahr treten die Brüder im regionalen Schafzüchterwettbewerb gegeneinander an. Alte und Junge, Männer und auch ein paar Frauen stehen in ihren Schafwollpullovern vor dem Schiedsgericht. Ihre Prachtböcke bei den Hörnern gepackt. Nebeneinander aufgereiht wie Schulkinder. Bloß dass auf den Namensschildern, die sie sich um den Hals gehängt haben, nicht ihre eigenen Namen prangen, sondern die ihrer Schafe.
Es gibt etliche solcher Bilderbuchszenen. Sorgfältig arrangiert. Ausgesucht komisch. Wenn Gummi seinem Bruder etwas sagen möchte, schreibt er es auf einen Zettel, rollt ihn zusammen und steckt ihn dem Hofhund ins Maul, der die Nachricht dann zu Kiddi trägt. Als dieser einmal sturzbetrunken im Schnee liegenbleibt, lädt Gummi ihn widerwillig auf den Schaufelbagger und legt ihn unsanft vor den Toren des Krankenhauses ab.
Auch die Dramaturgie des Films entwickelt sich zunächst im Stile einer jener skurrilen Nordland-Komödien, die nicht immer so schräg sind, wie sie es eigentlich gerne wären. Beim Züchterwettbewerb lässt Gummi seinen eifersüchtigen Blick über Kiddis Siegerschaf streifen. Zu seinem Entsetzen entdeckt er Anzeichen einer hochinfektiösen Krankheit. Tatsächlich stellt sich heraus, dass die Herde mit Scrapie, einer Art Schaf-BSE, befallen ist. Die Behörden reagieren rigoros. Alle Schafe im Tal müssen geschlachtet werden. Zwei Jahre lang dürfen sich die Züchter keine neuen Tiere anschaffen.
Nachdem sie von dem Beschluss erfahren haben, setzen sich die betroffenen Familien zusammen. Es herrscht eine kämpferische, aufwieglerische Stimmung. Man will sich das nicht gefallen lassen. Nicht nur die Schafe, auch ihre Besitzer können Sturköpfe sein. Und für einen Moment sieht es danach aus, als könne der Film in die Fußstapfen von „Kops“ und all den anderen Provinzkomödien treten, in denen eingeschworene Dorfgemeinschaften ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Es kommt jedoch anders. Die Wut ist schnell verdampft. Resignation macht sich breit. Die meisten fügen sich in das Unvermeidliche.
Nach und nach ergreift eine zarte Melancholie von der Filmerzählung Besitz, die auch schon durch die eher plakativ angelegten Spaßszenen hindurchschimmerte. Denn von Anfang an mischt die Inszenierung eine ordentliche Portion Poesie und Weltschmerz in die weiten, schroffen Landschaftsbilder. Island ist hier ein raues, windiges Eiland. Draußen grau, drinnen dunkel. Je länger der Film dauert, desto deutlicher zeichnen sich diese ernsthaften, traurigschönen Töne ab. Und der Winter kommt erst noch. Immer wieder fotografiert der norwegische Kameramann Sturla Brandth Grøvlen durch Fensterscheiben hindurch. Der Schmutz, der auf den Scheiben klebt, das beschlagene Glas, die Lichtreflexionen akzentuieren die Distanz einer solchen Beobachterperspektive. Die Kamera legt gewissermaßen den Blickwinkel der von Sigurður Sigurjónsson und Theodór Júlíusson eindringlich, aber nie aufdringlich gespielten Brüder an, die sich wechselseitig aus der Ferne belauern. Nur scheinbar im Widerspruch dazu stehen die starren Tableaus und frontalen Porträts, mit denen die Kamera den Protagonisten an anderer Stelle auf den Leib rückt. Die beiden Brüder, die sich als die narrativen Pole dieser sanften, irrwitzigen, hoffnungsvollen Tragikomödie entpuppen, wirken darin wie ausgestellt. Deplatziert und verloren. „Sture Böcke“ ist ebenso ein Film über wie gegen die Einsamkeit, aber natürlich auch einer über blökende Schafe, schrullige Männer und Island.
Stefan Volk, FILMDIENST 2015/26