Bande de filles - Girlhood

Freitag, 15. Mai 2015 - 20:30

Eintritt: 5,00 €

Frankreich, 2014
Kinostart: 26. Februar 2015
113 Minuten
FSK:  ab 12; f

Regie/Drehbuch: Céline Sciamma    
Kamera: Crystel Fournier    
Musik: Jean-Baptise de Laubier    
Schnitt: Julien Lacheray    

Darsteller: Karidja Touré (Marieme / Vic), Assa Sylla (Lady), Lindsay Karamoh (Adiatou), Marietou Touré (Fily), Idrissa Diabate (Ismaël), Simina Soumare (Bébé), Cyril Mendy (Djibril), Djibril Gueye (Abou)
 


Filmhomepage,  Filmgazette,  Programmkino.de,  EPD-Film  
Pressespiegel  

Presse: 
Süddeutsche Zeitung: Frauen, seid stark und männlich  
Der Spiegel: Vogelfrei in der Vorstadt 
Die Zeit: Mädchen, hart und strahlend wie Diamanten 
Die taz: Wir müssen furchtlos sein 
Die Frankfurter Rundschau: Der Bling-Ring der Banlieue
FAZ: Wovon wir träumen, entscheiden wir! 
Der Standard: Mädchen, die strahlen können wie ein Diamant 

                                                      
Schulmaterial: Vision KinoKinofenster         

Trailer:

 

 

ARD/WDR Kinozeit Filmtipp:

 

                                     

Kurzkritik Filmdienst

Eine 16-Jähige aus einer Pariser Banlieu schließt sich einer dreiköpfigen Mädchengang an, deren Mitglieder alle wie sie dunkelhäutig sind. Befeuert von ihren neuen Freundinnen, beginnt sie immer häufiger die Schule zu schwänzen und aktiv am kriminellen Treiben der Clique teilzunehmen. Das politisch wie sozial überaus wache Drama erzählt als intime Porträt vom Aufbegehren an den Ränder der französischen Gesellschaft. Der genau komponierte, einfallsreiche Film besticht ästhetisch wie inhaltlich, weil er die Wahlverwandtschaft der Gruppe als unkonventionelle Form des Erwachsenwerden analysiert. - Sehenswert ab 14

 

 

ausführliche Kritik Filmdienst

Ein American-Football-Match. Die Spieler fighten, die Härte des Geschehens wird durch eine Zeitlupe hervorgehoben. Dann wird erkennbar: Es sind zwei Frauenteams, die hier gegeneinander spielen. Die Szene gibt den Takt vor für einen politisch wie sozial überaus wachen Film, der ohne Scheu Stereotypen aufnimmt, um sie zu brechen, etwa Football, den Männlichkeitssport par excellence. Es geht um vier starke, schwarze Girls aus der Pariser Vorstadt. Sie haben nichts, also nehmen sie sich alles: Style, Stolz, Freiheit. Im Zentrum steht Marieme, die es im Alltag nicht leicht hat, etwa mit ihrem kaputten Bruder. Eines Tages wird sie Mitglied einer Frauen-Gang. Diese Mädchen sind unkonventionell und witzig, klauen ab und an, nehmen Schüler aus, prügeln sich, wenn es sein muss, und zeigen sich selbst und dem Publikum, was Feminismus wirklich heißt: Selbstbewusstsein. Es geht um das Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdbild. Darum schauen sich diese Mädchen fortwährend im Spiegel an, filmen und beurteilen sich gegenseitig. „Bande de filles“ zeigt in einem solchen Spiegelbild, was das eigentliche Problem vieler ihrer Geschlechtsgenossinnen ist: fehlende Härte, fehlender Mut. Und er zeigt, dass das nicht etwa „männliche“, sondern universelle Werte sind. Marieme, großartig gespielt von Karidja Touré, ist eine Kämpferin. Ihr Gegner sind die Umstände: mit 16 Jahren geht sie noch zur Schule, zuhause muss sie ihren drei Geschwistern eine Ersatzmutter sein, weil die richtige, alleinerziehende tagsüber arbeitet. Was in anderen Filmen zum Sozialdrama oder zur moralischen Lektion gerinnen würde, nutzt Céline Sciamma in ihrem nach „Water Lilies“ und „Tomboy“ dritten Spielfilm zu einem ästhetischen und antikonventionellen Statement. Indem die Bedeutung der Form schon über das Handwerk unterstrichen wird, durch ausufernde Kamerabewegungen und forcierten Musikeinsatz, indem Musik und Klamotten aber auch für die Figuren die Welt bedeuten, erklärt Sciamma, dass Selbstfindung zwar mit Stilbewusstsein zu tun hat, aber das Gegenteil von Anpassung ist, und dass der Wunsch der Umwelt, man solle „erwachsen“ und „reif“ werden, oft nur eine Maske der Repression ist. Auch Céline Sciamma geht ihren eigenen Weg, erarbeitet sich ihre eigene Stimme, unangepasst, ohne erhobenen Zeigefinger. Positiv besetzte Figuren tun auch schlechte Dinge, und wer Schlechtes tut, wird nicht zwangsläufig bestraft. Der Filmtitel ist eine Anspielung auf Jean-Luc Godards „Die Außenseiterbande“. Wie dieser ist „Bande de filles“ ein Film, der vorführt, nicht erklärt, warum Freiheit womöglich mehr mit Ästhetik zu tun hat als mit Moral, mehr mit Pop als mit „political correctness“, mit Musik und Mut, aber nichts mit Quoten. Auch der internationale Titel „Girlhood“ enthält einen Verweis, wie der Film zu verstehen sein könnte: nämlich als Antithese zu Richard Linklaters „Boyhood“. Während dieser im Kern eine Geschichte vom Erwachsenwerden eines jungen Weißen erzählt, darin aber dem Vater und seinem Verhältnis zum Sohn breiten Raum gibt, ist „Bande de filles“ das exakte Gegenteil: nicht ausufernd, sondern intim, die Geschichte eines schwarzen Mädchens, in dessen Leben die familiäre Blutsverwandtschaft eine marginale Rolle spielt und durch die Wahlverwandtschaft einer Gruppe ersetzt wird. Hier findet Initiation statt, es geht um Selbstbefreiung und Selbstbestimmung, den Bruch mit dem Herkommen, nicht um dessen Kontinuität. „Emanzipation“ ist für all dies ein aus der Mode gekommener Ausdruck. 20 Jahre nach „Hass“ kehrt das französische Kino in die Banlieues zurück und entlarvt die Ideologie hinter den Geschichten um ziemlich beste Freunde. Sciamma zeigt ganz selbstverständlich, wie Gesellschaft und Familie die Entwicklung junger Frauen behindern. Alles in allem ein überaus genau komponierter, einfallsreicher, bestechender Film.

Rüdiger Suchsland, FILMDIENST 2015/4