Orson Welles' Othello (restaurierte Fassung)
Eintritt: 5 €
England 1949
Kinostart Deutschland: 25. November 1955
Wiederaufführung Kino: 5. Dezember 2024
91 Minuten
FSK: ab 12; f
Regie/Drehbuch/Produktion: Orson Welles
Darsteller:
Orson Welles (Othello) · Michael MacLiammoir (Jago) · Suzanne Cloutier (Desdemona) · Robert Coote (Rodrigo) · Michael Laurence (Cassio) · Hilton Edwards (Branbantio) · Fay Compton (Emilia) · Nicholas Bruce (Ludovico) · Jean Davis (Montano) · Doris Dowling (Bianca) · Joseph Cotten (Senator) · Joan Fontaine (Bote)
WIKIPEDIA
Kritiken:
Kritik von Josef Nagel für den Filmdienst
Original-Trailer (im achteinhalb läuft die synchronisierte Fassung) (94 Sekunden):
ausführliche Kritik von Josef Nagel für den Filmdienst:
1952, nach vier Jahren ständig unterbrochener Drehzeit, konnte der mit dem Bannfluch Hollywoods belegte Orson Welles seine erste europäische Produktion fertigstellen. Die Finanzierung gelang dank zahlreicher Engagements als Schauspieler und großzügigem Entgegenkommen aller Beteiligten. Kurzfristig angesetzte Aufnahmen fanden in Rom, Venedig und auf der marokkanischen Insel Mogador statt. Tagsüber bei Henry Hathaway beschäftigt, drehte Welles in der Nacht an "Othello" - bis er erschöpft zusammenbrach, wie eine zeitgenössische Anekdote die Produktionsumstände kolportiert. Auf dem Filmfestival in Cannes sprach man der eigenwilligen Shakespeare-Verfilmung "Othello" die Goldene Palme zu. In den USA wurde der Film erst drei Jahre später herausgebracht und soll damals lediglich 40.000 Dollar eingespielt haben. Auch in Deutschland verschwand "Othello" nach einem kurzen Kinoeinsatz sehr schnell in der Versenkung und geisterte als umstrittenes, mißverstandenes Meisterwerk durch die Filmgeschichten. 1989 dann wollte ein europäischer Verleih dem verschollenen Film zu einer glanzvollen Wiederaufführung verhelfen. Beatrice Welles-Smith, die jüngste Tochter des Regisseurs, gedachte zunächst, diese Reprise zu verhindern. Außerdem galten die Original-Negative des Nitro-Materials als vernichtet. Eine von der Erbin beauftragte Firma spürte das 37 Jahre alte Nitro-Negativ jedoch in einem Lagerhaus der 20th Century Fox in Ogdensbug, New Jersey, auf. Dort lagerten zehn Filmrollen, der kombinierte Lichtton sowie die Musik- und Geräuschbänder. Eine vorsichtige, mit modernster Bild- und Tontechnik ausgestattete Restaurierung konnte beginnen. Das Endprodukt - einige amerikanische Kritiker sprechen von einem neuen, nicht in jeder Hinsicht Welles' Intentionen entsprechenden Film - wurde mit einer neuen Einspielung der Musik (in Dolby Stereo) und neu abgemischten Dialogen anläßlich einer Galapremiere im Dezember 1991 im New Yorker Lincoln Center erstmals öffentlich vorgeführt.
Die grandiose vierminütige Einleitungssequenz - an (Stumm-)Filme von Eisenstein oder Dreyer erinnernd - ist Anfang und Ende, Tod und Leben zugleich. Nach der Großaufnahme vom Kopf des toten Othello gibt die Kamera den Blick auf den Sarg, dessen Träger und schließlich die gesamte Szenerie frei. Desdemonas und Othellos Körper werden zu Grabe getragen, während man Jago, den Schuldigen dieser Verzweiflungstat, gefangen im Käfig am Festungsturm emporzieht. Auf diese Exposition folgt die Rückblende, die von Othello, dem hochgeschätzten Heerführer im Dienst der Republik Venedig erzählt wird. Das Eifersuchtsdrama nimmt seinen Lauf, als Jago, von seinem Vorgesetzten bei einer Beförderung übergangen, ebenjenem suggeriert, Desdemona, seine hübsche junge Frau, betrüge ihn mit Leutnant Cassio. Blind vor Eifersucht begibt sich Othello in das Schlafgemach seiner Gattin und erdrosselt die Unschuldige, ohne ihren Liebesbeteuerungen Glauben zu schenken. Am Ende muß er erfahren, daß Jago als Drahtzieher der Wahnsinnstat fungierte, um sich Genugtuung zu verschaffen. Othello verzweifelt nach der Offenbarung und ersticht sich selbst. Der Leichenzug bringt die beiden Toten außerhalb der zypriotischen Festungsmauern.
Orson Welles taucht das mittelalterliche Ambiente, die wehrhafte Trutzburg und die unheilvolle Lagunenstadt, in eine expressionistische Licht- und Schattenwirkung. Die beiden Hauptschauplätze sind in ungewöhnliche, bizarre Einstellungen von Innen- und Außenräumen aufgeteilt, so daß viele der Schwierigkeiten und Unterbrechungen der Dreharbeiten kaschiert werden. Wie in "Citizen Kane", der vorangegangenen Shakespeare-Adaption "Macbeth" und anderen Filmen steht in der Tragödie um den Mohren von Venedig die Konfrontation zweier idealtypischer Charaktere, der Kampf von Gut und Böse im Mittelpunkt. Für Jago, den maßlosen Egoisten, ist jeder käuflich. Sein berechnender, zerstörerischer Machtwille läßt ihn alle anderen - den Freund Rodrigo, den er sogar nach dem mißlungenen Anschlag auf Cassio tötet, die eigene Frau, ebenfalls von Jago erstochen, weil sie die heimtückischen Kabalen offenbart - als willfährige Objekte behandeln. Gleichwohl zeichnet auch Welles den absoluten Bösewicht als Getriebenen: voller Rachegelüste ob der entgangenen Karriere, ein janusköpfiger Spieler, der von sich sagt: "Ich bin nicht, was ich bin." Othello, der naive Glückspilz, ist erfolgreich im Kampf, in der Liebe und erntet Ruhm und Besitz. Aber aus einer scheinbaren Sicherheit heraus stürzt er tief - in Verkennung der objektiven Realitäten. Die Liebe zu Desdemona, einmal wirklich auf die Probe gestellt, gerät ins Wanken.
Die Restaurierung von "Othello" ist in den USA nicht unumstritten. In der englischen Filmzeitschrift "Sight and Sound" spricht Jonathan Rosenbaum von nicht weniger als drei möglichen bzw. existierenden Fassungen, wobei freilich keine der von Orson Welles intendierten exakt entsprechen soll. Die in Amerika gestartete und auch bei uns zur Wiederaufführung vorgesehene Version wurde musikalisch bearbeitet, neu aufgenommen und in Dolby Stereo abgemischt. Dadurch ist das Verhältnis von Musik, Dialog und Geräuschen nachhaltig verändert. Sicherlich entstand bei dieser zumindest fragwürdigen Form der Bearbeitung kein neuer Film, wie kühn gemutmaßt wurde. Doch das Beispiel "Othello" zeigt einmal mehr den schmalen Grat jeglicher Rekonstruktions- und Restaurierungsarbeit, da ein "Original" im filmkünstlerischen Sinne nur selten eindeutig zeitlich, produktionstechnisch und filmhistorisch zu definieren ist. Um so verdienstvoller bleibt, daß wir nach 40 Jahren der Entstehung das in Vergessenheit geratene Werk erneut im Kino erleben können. Ein Bonmot, überliefert aus den letzten Lebensjahren des Regisseurs, umreißt das skizzierte Problem sehr treffend: "Jeder, der sich für den lächerlichen Beruf eines Filmemachers entscheidet, hat verdient, was ihm widerfährt; wenn man einmal der Filmkunst verfallen ist, kommt man nicht mehr frei. Das war mein Fehler. Alles Geld, das ich je verdient habe, wurde wieder von Filmen verschlungen. Wenn ich abgebrannt bin, kann ich nur noch meine Erinnerungen verkaufen."