„When the legend becomes fact, print the legend!“ Liegt es am eigenen Alter, wenn man sich bei „Petra Kelly – Act Now!“ wiederholt fragt, an wen die Dokumentation von Doris Metz eigentlich gerichtet ist? Eingebettet in eine Montage von Bildern von mehr oder weniger aktuellen Straßenprotesten, meldet sich Petra Kelly (1947-1992) aus dem Archiv zurück, wenn sie 1985 auf der UN-Global-Student-Conference in Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen die Straße für wichtiger als das Parlament erachtet. Dazu passt eine Aussage von Kelly wie „Das ganze Leben ist Politik“.

Auflehnung gegen Männerbünde

Petra Kelly, eine vergessene oder auch verdrängte Ikone aus der Gründergeneration der Grünen, setzte als Fundamentalistin auf die Kombination aus Feminismus und Gewaltlosigkeit. Aufgewachsen in einem Frauenhaushalt, deren Protagonistinnen „ohne Männer durch das Leben kommen“ (Kelly), fand ihr Feminismus ein Vorbild in ihrer „Omi“, deren Auflehnung gegen und Ablehnung von Männerbünden sie bewunderte. Mit Hilfe einer überschaubaren, dafür aber sehr vielfältigen Auswahl an Gesprächspartnern und mit reichlich Archivmaterial skizziert Doris Metz durchaus chronologisch das Porträt einer Idealistin, deren Widersprüche man als literaturreif charakterisieren könnte.

1947 im schwäbischen Günzburg als Petra Lehmann geboren und aufgewachsen, zog die Familie mit dem neuen Ehemann der Mutter, einem US-Soldaten, in die USA. Dort fühlte sich die Heranwachsende wie ein „Fremdkörper“, nahm den Familiennamen des Stiefvaters an und studierte ab 1966 in Washington Politische Wissenschaften. Sie nahm an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung. Ihre politischen Vorbilder waren Gandhi und Martin Luther King; ihre „feministischen“ Leitbilder Rosa Luxemburg und Alexandra Kollontai.

Kelly engagierte sich in den Wahlkampfteams von Robert F. Kennedy und nach dessen Ermordung in denen von Hubert H. Humphrey, wobei der Film nicht ausführt, welche Qualität und welche Konsequenzen dieses nicht allzu lange Engagement in ihrem späteren politischen Leben gehabt hat. Nachdem ihre jüngere Schwester an Krebs erkrankte, kehrte die Familie in die Bundesrepublik zurück. Der Tod der Schwester scheint traumatisch gewesen zu sein und führte zu einer kritisch-ablehnenden Haltung der Atomkraft.

Als „Außerirdische“ in Brüssel

Während der 1970er-Jahre arbeitete Kelly nach dem Studienabschluss in der EG-Verwaltung in Brüssel und machte Karriere, obwohl sie sich auch in der dortigen Bürokratie als „Außerirdische“ empfand. Ende der 1970er-Jahre, nach ihrem Austritt aus der SPD, war Petra Kelly in unterschiedlichen politischen Initiativen und Organisationen präsent: von der DFG über die Anti-Atom-, Umweltschutz-, Friedens- und Frauenbewegung bis hin zu den Grünen, deren erste Parteisprecherin sie 1980 wurde.

Vielleicht, weil ihr die Erfahrung von „1968“ fehlte, vielleicht, weil sie die Bühne mit „amerikanischem Selbstbewusstsein“ und internationaler Perspektive betrat, stach Kelly aus der Gründergeneration der Grünen heraus, wo sich ein bunter Haufen aus völkischen Öko-Bauern, desillusionierten K-Gruppen-Aktivisten, Ex-DDR-Dissidenten, Umweltschützern, CDU-Apokalyptikern, Anthroposophen und Spontis versammelte.

Charisma oder Nervensäge

Der Film rühmt Kelly Willensstärke, Leidenschaft, Energie und Charisma nach; andernorts wurde sie eher als eine verbissen, aber wenig rational, sondern emotional argumentierende, dafür gehetzt schnellsprechende und humorlose „Nervensäge“ (Wiglaf Droste) wahrgenommen. Den Film ficht derlei aber nicht an, sondern er bezieht selbst Partei. In einer Szene sieht man eine Gruppe nicht mehr ganz junger Leute, die rauchend und trinkend in einer Kneipe sitzen. Da kommt der junge Joschka Fischer herein, ordert ein Glas Rotwein und erzählt launig einen Möllemann-Witz. Aus dem Off kommentiert Petra Kelly kritisch, dass sie auf Distanz zur Kneipen- und Saufkultur der alternativen Lebensformen achte und lieber fürs kontemplative Alleine-Sein plädiere, um sich ganz auf die Arbeit konzentrieren zu können.

Nach etwa 40 Minuten erscheint Gert Bastian im Film, ein friedensbewegter General a.D. Auch er ist ein Gegner der NATO-Nachrüstung und zugleich einer der Initiatoren des „Krefelder Appells“ und der Gruppe „Generale für den Frieden“. Bastian wird der Lebensgefährte von Kelly und ihr gleichermaßen reisefreudiger Mitstreiter. Auch Bastian kommt über Die Grünen in den Bundestag, fremdelt aber mit dem Rotationsprinzip der Partei und mit der Idee, Teile der Diäten zu spenden. Doch Bastian interessiert im Film nur sehr bedingt, er bekommt keine Stimme; über ihn wird lediglich gesprochen.

Dafür verliert sich „Petra Kelly – Act Now!“ in Spekulationen über mögliche Motive für den Mord an Petra Kelly im Oktober 1992. Gab es Kontakte zur Stasi oder gar zum KGB? Hatte Bastian Angst, dass persönliche Verstrickungen ans Licht kommen? Bastians Sohn Till hat ein Buch über die Beziehung seines Vaters und Petra Kelly geschrieben. Doch seine Perspektive auf die ungewöhnliche und durchaus widersprüchliche Beziehung interessiert ebenfalls nicht.

Sexismus im Bundestag

Zwischen 1985 und 1992 verlor das Konzept des parlamentarischen Anti-Parlamentarismus, das mit Kelly verbunden ist, rasch an Glanz. Auch Kellys Charisma, das auf Demonstrationen, bei denen es um „Preaching to the Converted“ ging, sein größtes Potenzial entfaltete, verblasst im parlamentarischen Alltag, wo Kellys Blick auf das Große und Ganze, auf medienwirksame „Events“ bei der UNO oder mit dem Dalai Lama, zunehmend fehl am Platz erschien. Dafür aber flicht der Film ausführlich eine Episode ein, in der es Kelly gelang, dass die US-amerikanische First Nation im Bundestag zu Gast war, was ihr im Gegenzug den Ausweis einer besonderen Spiritualität verlieh.

Wer allerdings in zeitgenössischen Nachrufen stöbert, stößt dort auch auf unangenehme Details aus Kellys Büroalltag, auf Stress und Überarbeitung, aber auch auf die Bedrohung durch die rechtsextremistische LaRouche-Gruppe, die heute vergessen zu sein scheint. In dem Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“, in dem die gleiche Erzählung wie in „Petra Kelly – Act Now!“ ungleich weniger Raum einnahm, hat Petra Kelly einen kurzen, aber vielsagenden Auftritt, der zu präziseren Einsichten gelangte, auch im Hinblick auf die Konfrontation mit dem im Parlament herrschenden Sexismus.

Der Fetisch des zivilen Ungehorsams

Metz aber rekonstruiert die Ikone Petra Kelly auch deshalb, um insbesondere den Grünen einen Spiegel vorzuhalten; deshalb muss die Beziehungstat um Mord und anschließenden Suizid auch mysteriös bleiben, weil Petra Kelly gewiss noch große Pläne gehabt hätte, während sich ihre Partei zunehmend professionalisierte. Auffällig ist auch, dass bis auf Lukas Beckmann und Otto Schily keine zeitgenössischen oder aktuellen Grünen-Politiker zu Wort kommen, dafür aber Luisa Neubauer und der First-Nation-Aktivist Milo Yellow Hair.

Festzuhalten bleibt, dass Petra Kelly 1990/1991 in ihrer Partei politisch bedeutungslos geworden war. Wer will, mag sich einmal vorzustellen versuchen, welche Handlungsentwürfe von der parlamentarismuskritischen Parlamentarierin und Pazifistin mit dem Fetisch des zivilen Ungehorsams angesichts der globalen Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert, in Sachen Bosnien, Afghanistan und Ukraine, erwartbar gewesen wären.