Vergiss Meyn Nicht
Eintritt: 5 Euro
Deutschland 2022
Kinostart: 21. September 2023
102 Minuten
FSK: ab 12; f
Regie/Drehbuch: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhof
Kritiken:
Kritik von Patrick Holzapfel für den Filmdienst (1,5 von 5 Sternen)
Kritik von Silvia Hallensleben für EPD-Film (4 von 5 Sternen)
Kritik von Gundela Bartels für den Tagesspiegel
Interview mit den Filmemachern im Energiewende-Magazin
Trailer (54 Sekunden):
ausführliche Kritik von Patrick Holzapfel für den Filmdienst:
Ein Dokumentarfilm über den bei den Protesten gegen die Zwangsräumung des Hambacher Forstes tödlich verunglückten Filmstudenten Steffen Meyn, dessen Aufnahmen um Interviews ergänzt werden.
Am Ende ihres Films „Vergiss Meyn Nicht“ fragen die Filmemacher Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff eine Aktivistin, ob es sich lohnen würde, mit dem ganzen Körper und womöglich gar Leben für größere Ideale einzutreten. Ihre durchaus reflektierte, aber doch fragwürdige Antwort zeigt das ganze Dilemma des Films und womöglich vieler zeitgenössischer Protestformen und der Filme, die über diese gedreht werden. Denn die Frau bejaht die Frage unter Vorbehalt, da man eigentlich jene fragen müsste, die wie der ehemalige Kommilitone der drei Filmemacher, Steffen Meyn, im Zuge eines Protestes ums Leben gekommen wären. Dann erzählt sie, wie stark sie die Erlebnisse im Hambacher Forst geprägt und wie viel sie über sich und das gesellschaftliche Leben erfahren hätte. Kein Wort mehr von den eigentlichen größeren Zielen, nur eine individuelle Erfahrung, eine persönliche Geschichte.
Mit einem Mal zerfällt das ganze agitatorische, dringliche Bestreben dieser Menschen und auch des sich eindeutig auf die Seite der Demonstrierenden stellenden Films zu einer persönlichen Erinnerung, in der tragischerweise einige ums Leben kamen. Es bleibt das ohnmächtige und bemüht wärmende Gefühl eines „es war nicht umsonst“ statt eines „es muss weiter etwas getan werden“ oder zumindest eines „so geht es nicht weiter“.
Weder Bildungsroman noch Heldenreise
Man darf sich zumindest fragen, warum ein solcher Film mit einer solchen Aussage enden muss. Denn eigentlich umgeht „Vergiss Meyn Nicht“ weitgehend die typischen Fallstricke eines Bildungsromans der Aktivistinnen, in dem diese aus ihren Leben berichten oder, noch schlimmer, einer kitschigen Heldenreise des tragisch gestürzten Meyns. Stattdessen widmet er sich den für die jüngere deutsche Geschichte so bedenklichen Zwangsräumungen des Hambacher Forsts im Rheinischen Braunkohlerevier für die RWE Power AG aus verschiedenen und vor allem nachträglichen Perspektiven, allerdings allesamt der Demonstrierenden.
Unter Verwendung des mit einer 360-Grad-Helmkamera gedrehten Materials von Meyn und klassisch gefilmten Interviews findet der Film einen zugänglichen und bisweilen vielschichtigen Einblick in die Welt der Demonstrierenden. Die eingangs geschilderte Ohnmacht schimmert dabei sehr wohl durch die Oberflächen, es ist aber nicht jene Desillusionierung, die das postrevolutionäre Kino der 1970er-Jahre prägte. Hier befinden wir uns auch Jahre nach den Ereignissen noch mitten im Kampf, es wird allerdings nur ansatzweise deutlich im Film, wie dieser Kampf aussieht, was er bedeutet, was in denen, die kämpfen, vorgeht. Aber vielleicht ist das auch zu viel verlangt?
Das Innenleben der Gruppen
In einigen Szenen geht es um ein Für und Wider von Gewalt und Militanz, die Vermummung oder Organisationsformen innerhalb eines solchen Protests. Vor allem ein aus einer Verhandlung mit der Polizei entstehender Konflikt zwischen den Demonstrierenden zeigt einiges vom Innenleben dieser sonst oft durch mediale Bilder verfälscht wiedergegebenen Gruppen. Wiederholt wird in solchen, von Meyn mit der gewöhnungsbedürftigen Helmkamera gefilmten Szenen und in den Gesprächen die Bedeutung individueller Geschichten und Motivation hinterfragt, weshalb das abrundende Ende umso widersprüchlicher scheint.
Wie aber lassen sich Bilder eines Protests zeigen, in denen es um die Sache geht und nicht um jene, die sie vertreten? Ein gutes Beispiel aus der jüngeren Filmgeschichte wäre Sergei Loznitsas „Maidan“, der im Gegensatz zu „Vergiss Meyn Nicht“ eine Haltung aus dem Bemühen um dokumentarische „Neutralität“ gewinnt, statt eine Haltung vorauszusetzen und sie so für die Gegenseite bereits angreifbar zu machen. Den Bildern von „Maidan“ kann man schwer widersprechen, jenen von „Vergiss Meyn Nicht“ könnte man jederzeit entgegenhalten, dass sie parteiisch sind. Aber vielleicht ist auch das der Zweck dieses Filmes, sich zu einer Seite zu bekennen. Aber selbst dann müsste auf der Bildebene mehr passieren. Das Wichtige wird in diesem Film größtenteils gesagt, nicht gezeigt. Es ist kompliziert.
Die Verantwortung wiegt schwer
Vieles wird so aufbereitet, als wollte hier jemand seinen Eltern erklären, warum die Demonstrierenden gute Menschen sind. In einem Rückblick auf die Ereignisse nach fast sechs Jahren ist das zu wenig. Der polyphone Ansatz und die Direct-Cinema-Bilder Meyns reichen auch nicht an ähnliche ästhetische Strategien in Lukas Reiters „HAMBI – Der Kampf um den Hambacher Wald“ ran. Womöglich fehlt dem Film schlicht die Distanz, das zeigt bereits der Titel. Es ist schwer vorstellbar, was es bedeutet, mit dem Material eines Kollegen und Freundes zu arbeiten, der verstarb, als er dieses drehte. Vielleicht ist es keine gute Idee, sich überhaupt an ein solches Material zu wagen. Die Verantwortung wiegt schwer, und ein richtiges Bild dieses Menschen entsteht nur gelegentlich, wenn man ihn still in einem der Baumhäuser sitzen sieht oder wenn er die neue Kamera zum ersten Mal mit einigen Freunden ausprobiert.
Es ist davon auszugehen, dass der Film jenen gilt, die Meyn kannten oder ihm nahestanden. Trotzdem muss gefragt werden, ob es die richtige ethische Entscheidung ist, die letzten gedrehten Bilder des Verstorbenen bis unmittelbar zu seinem Sturz zu zeigen. Auch muten manche vorherigen Szenen mit Sicherheitsseilen und in den Baumhäusern so an, als wollte man Spannung im Hinblick auf das Unvermeidliche generieren. Die bisweilen treibende Musik tut dabei ihr übriges. Man könnte sagen, dass die formalen Mittel von „Vergiss Meyn Nicht“ den Filmemachern gelegentlich entgleiten. Das mag alles etwas unfair erscheinen, schließlich trägt den Film allein die Kraft, dass er uns diese Bilder Meyns zeigt. Man fragt sich nur, ob es nicht besser gewesen wäre, man hätte dessen Material möglichst ungefiltert wiedergegeben, statt alles immerzu einzubetten und damit abzuschwächen.
Die Kamera, die einfach weiterfilmt
Am interessantesten ist dementsprechend auch der Umgang mit Meyns Kamera. Der Film beginnt mit der im herbstlichen Laub liegenden Kamera, das heißt, ihrem Blick nach dem tödlichen Sturz Meyns von einer die Baumhäuser verbindenden Brücke. Sie wird von einigen Polizisten aufgehoben, aber filmt einfach weiter. Das ist eine beeindruckende Sache, eine Kamera, die weiterdreht, nachdem ihr Besitzer gestorben ist. Ein bisschen ist ja der Film selbst auch wie diese Kamera. Das ist ein schöner Gedanke, vielleicht schöner noch als manche Vorstellungen vom Leben nach dem Tod.
Der Film greift diese sich selbst überlassenen Bilder und auch Diskussionen über die Bedeutung von Kameras für einen solchen Protest wiederholt auf. Eine Kamera sei eine Waffe, sagt ein Aktivist. Sie würde das Verhalten der Polizei beeinflussen, sie biete Schutz für die Demonstrierenden. Dass es sich um eine 360-Grad-Kamera handelt, die Meyn meist auf einem Helm trägt, wirft weitere spannende Fragen über jene Bilder auf, die im Rahmen solcher Proteste entstehen. Es ist menschlich verständlich und filmisch bedauerlich, dass „Vergiss Meyn Nicht“ diesen Fragen nicht gründlicher nachgeht.