zum heutigen 100. Geburtstag von Felice Schragenheim (1922-1945): Aimée & Jaguar (Felice & Lilly) – Eintritt frei

  Mittwoch, 09. März 2022 - 19:30 bis - 21:30

 

In Kooperation mit der
Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Bergen Belsen 
und der
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Celle e.V.

Am Dienstag, den 8. März, um 19 Uhr liest Oskar Ansull aus den Büchern der Felice Schragenheim (1922-1945).
Felice Schragenheim  hatte vergeblich versucht auszuwandern. Für ihr Gepäck musste sie eine detaillierte Aufstellung ihres Besitzes bei den Behörden einreichen, u. a. auch eine Liste ihrer Bücher. Dem aus Celle stammenden Autor und Rezitator Oskar Ansull ist es gelungen, die auf dieser Liste genannten Bücher antiquarisch zu sammeln. In mehr als 100 Lesungen ("Eine Lesung aus dem Koffer") hat er diese, in einem alten Koffer aufbewahrte Büchersammlung vorgestellt und damit einen Eindruck von Felice Schragenheims Persönlichkeit, ihren Interessen, ihrem Temperament und ihren Träumen vermittelt.

Bei Interesse melden Sie sich bitte zu den Öffnungszeiten der Synagoge montags bis freitags 10.00-16.00 Uhr und sonntags 15.00-17.00 Uhr telefonisch unter 05141-124730 mit Ihren Kontaktdaten an, weil nur eine begrenzte Platzzahl zur Verfügung steht.

2004 hatte Oskar die Lesung aus den Büchern der Felice Schragenheim im Rahmen unserer Lesereihe "Teatime – Texte & Törtchen" gehalten.
Eine unvergessliche Lesung und ein Höhepunkt der mehrjährigen Lesereihe. Wer eine Karte ergattern kann, schätze sich froh.

 

 

Eintritt: frei (bitte reservieren)

Deutschland 1998
Kinostart: 11. Februar 1999
121 Minuten
FSK: ab 12; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll

Regie: Max Färberböck
Drehbuch: Max Färberböck · Rona Munro 
Vorlage der Handlung ist das 1994 erschienene gleichnamige Buch von Erica Fischer, in dem Erinnerungen von Lilly Wust und anderen Zeitzeugen zusammengetragen wurden.


Kamera: Tony Imi 
Musik: Jan A.P. Kaczmarek
Schnitt: Barbara Hennings

Darsteller:
Maria Schrader (Felice Schragenheim) · Juliane Köhler (Lilly Wust) · Johanna Wokalek (Ilse) · Heike Makatsch (Klärchen) · Elisabeth Degen (Lotte) · Detlev Buck (Günther Wust) · Inge Keller (Lilly, 1997) · Kyra Mladeck (Ilse, 1997) · Peter Weck (Chefredakteur) · Rosel Zech (Blonde Dame) · Désirée Nick (Erika) · Ulrich Matthes (Eckert)

 

Silberner Bär auf der Berlinale 1999 (beste Darstellerin für Juliane Köhler und Maria Schrader bei der Berlinale)
Golden-Globe-Nominierung 2000 als „Bester fremdsprachiger Film“
Bayerischer Filmpreis 1999
Deutscher Filmpreis 1999
Gilde-Filmpreis in Silber 1999

Wikipedia , Filmseite des Verleihs, alle Daten zum Film auf Filmportal.de, Filmheft der Bundeszentrale für politische Bildung

Kritiken:
Kritik von Michael Althen für die Süddeutsche Zeitung
Kritik von Margarete Wach im Filmdienst  
 
Kritik von Manfred Müller für den Spiegel
Kritik von Marie Anderson für Kinozeit.de
Kritik von Martina Knoben für EPD Film
Kritik von Dieter Wunderlich

Trailer (112 Sekunden):


ausführliche Kritik Filmdienst  
Der deutsche Film geht neue Wege: Nach „23 – Nichts ist wie es scheint“ und „Fette Welt“, die nicht nur die „Rückkehr des Sozialen“ markieren, sondern beweisen, daß Kino im Zeitalter des „anything goes“ nicht unbedingt einen Verlust an Authentizität bedeuten muß, kommt nun eine authentische (Liebes-)Geschichte, die für ein großes Gefühlsdrama wie geschaffen schien: „Aimée & Jaguar“, „eine Liebesgeschichte, Berlin 1943“, so der Untertitel des gleichnamigen Bestsellers von Erica Fischer, der seit seinem Erscheinen 1994 einen beispiellosen Siegeszug angetreten hat. Übersetzt in elf Sprachen, in zahlreichen Hörfunk-Features und Fernsehdokumentationen bearbeitet, verhalf das belletristische Sachbuch, mit dem die außergewöhnliche Liebesgeschichte aus den letzten Kriegsjahren zwischen einer deutschen Jüdin und einer Nazi-Mitläuferin der Vergessenheit entrissen wurde, der damals 80jährigen Lilly Wust, die verarmt und isoliert in Berlin lebte, zum späten Ruhm. Erica Fischer hatte „ein wenig Bauchweh“, als sie das Drehbuch las, denn „die bittersüße Story bietet sich zur Verschnulzung an“. Dramaturgisch hält dieses vom Leben unter extremen, unmenschlichen Bedingungen diktierte Melodram auch alle Ingredienzen des Genres bereit: Lilly Wust, vierfache Mutter und biedere Hausfrau, Trägerin des Mutterkreuzes in Bronze, verheiratet mit dem Frontsoldaten und überzeugten Nazi-Anhänger Günther, ist eine linientreue Opportunistin, die wie ihr untreuer Ehemann Ablenkung in wechselnden Affären sucht, da sie die wahre Liebe noch nicht gefunden hat. Erst als die 21jährige Felice Schragenheim, die im Untergrund für ein jüdisches Selbsthilfe-Netzwerk arbeitet, in ihr Leben tritt, bedeutet dies eine Befreiung für sie. Lilly verliebt sich in die lesbische Jüdin, die als „menschliches U-Boot“ und ohne feste Bleibe in Berlin lebt. Fast täglich schreiben sie sich Briefe und Gedichte, geben sich neue Namen: Aimée (Lilly) und Jaguar (Felice). Da die geheimnisvolle Geliebte tagelang verschwindet, preßt ihr Lilly, von Eifersucht getrieben, nach zähem Ringen das Geständnis ab, eine Jüdin zu sein, und bietet Felice nicht nur Unterschlupf, sondern auch eine perfekte Tarnung. Bis die Gestapo durch Zufall hinter Felices Geheimnis kommt und sie nach Theresienstadt deportiert.

Färberböck interessiert an dieser filmreifen Liebesromanze, die Felices Tod „unsterblich“ macht, das Großformatige, Überlebensgroße der Gefühle vor dem Hintergrund einer barbarischen Diktatur. Nicht die Wandlung der Mitläuferin und Antisemitin Lilly zur Philosemitin und Retterin, die von ihrer blinden Liebe zur Zivilcourage verleitet, noch drei weitere Jüdinnen in ihrer Wohnung aufnahm und Felice bei ihrer Widerstandsarbeit unterstützte, steht wie bei Erica Fischer im Mittelpunkt seiner Geschichte. Den Regisseur reizte vielmehr „das typische Berliner Chaos- und Kriegsgefühl“, der „Tanz auf dem Vulkan“ in einer Stadt, wo im Hagel der Flächenbombardements lesbische Mädchen Geld damit verdienen, daß sie sich als Pin-up-Girls für deutsche Soldaten ablichten lassen, eine waghalsige Jüdin im Untergrund unter falschem Namen für eine nationalsozialistische Zeitung arbeitet und dort brisante Unterlagen verschwinden läßt und eine Mutterkreuzträgerin sich Hals über Kopf in die Liebe zu einer lesbischen Jüdin stürzt. Mag sein, daß diese Verschiebung der Gewichtung den Film vor einer peinlichen Heroisierung und Verklärung seiner lebenshungrigen Figuren bewahrt. Zumal die auf parallele Entwicklung mehrerer Stränge angelegte Dramaturgie diesen schillernden Mikrokosmos einzufangen versucht: Militärs und NS-Propagandisten kommen hier ebenso zum Vorschein wie die kleinen Spießbürger und die Glamour-Welt des Adlon-Hotels, untergetauchte Juden oder Girlies aus der lesbischen Szene. So fällt auch einigen Nebenfiguren eine wichtige Rolle zu wie der lebenslustigen Ilse, die bei Lilly ihr „Pflichtjahr“ als Hausmädchen ableistet und sie mit ihrer Freundin und Ex-Geliebten Felice zusammenbringt, oder dem redenschwingenden Chefredakteur, der selbst seinen Nazi-Tiraden nicht mehr glauben mag. Obwohl Färberböck ganz auf seine beiden exzellent besetzten Protagonistinnen setzt, vermag er das emotionale Potential dieser widersprüchlichen Figuren nicht auszuschöpfen. Bemüht, leichtfüßig und unsentimental zu erzählen, läßt er sie zwar mit herausfordernden Blicken und im nervösen Überschwang agieren, die psychologisch motivierende Einbindung in die Realita Nazi-Deutschlands aber bis auf das fulminante Finale, in dem die behauptete Bedrohung des Paares endlich hautnah spürbar wird, vermissen. So wirkt auch die slawische Gefühlsemphase in der zwischen musikalischem Lyrismus und pathetischem Gestus oszillierenden Partitur des Polen J. P. Kaczmarek beinahe erpresserisch, obwohl die Musik die sehnsüchtigen Gefühle mehr als authentisch vermittelt. Wenn die stark stilisierten Bilder von Luftangriffen den Himmel über Berlin in ein gefiltertes Blutrot getaucht werden, verkommt der historische Hintergrund endgültig zur bewegenden Kulisse.

Da Ilse nach Jahrzehnten in einem Altersheim Lilly wieder begegnet und die Geschichte rückblickend erzählt, als ob die Erkenntnis, daß das ganze Leben durch diese unmögliche Liebe aus den Fugen geraten sei, noch einer langatmigen Rahmenhandlung bedürft hätte, legt der assekurierende Rückgriff die Vermutung nahe, man traue der eruptiven Kraft entfesselter Emotionen nicht, wofür auch die redundante Rückblende im Epilog spricht, wenn Maria Schrader Felices Lebenshunger und Überlebenswillen zusätzlich Ausdruck verleihen muß. So bleibt „Aimée und Jaguar“, bis in die kleinste Rolle sorgsam besetzt, ein für deutsche Verhältnisse beachtliches Stück opulentes Austattungskino, das eine Reihe visuell wie atmosphärisch überzeugend modellierter szenischer Arrangements bietet, aber trotzt der Brisanz seines Themas das dramatische Potential der singulären Love-Story nicht nutzt, da er zu keiner gelungenen Balance zwischen Emotionen und Authentizität findet.
       
Eine Kritik von Margarete Wach