Es klingt nach einer Flaschenpost aus einer anderen Zeit. Obwohl Hans Blumenberg (1920-1996) einer der produktivsten und einflussreichsten Philosophen seiner Generation war, legte er höchsten Wert auf den Nimbus der Unsichtbarkeit. Keine Interviews, keine Talkshow-Auftritte, nur zwei offizielle Fotos und nach seiner Emeritierung der Rückzug in seine Schreibhöhle nach Altenberge, wo er bis zu seinem Tod noch zahlreiche Publikationen erarbeitete.

Das ist eine echte Herausforderung, wenn man als Filmemacher und erklärter Fan des Dichter-Philosophen Blumenberg den Nachgeborenen von der Faszination, die vom Denken und der Erscheinung dieser Person ausgeht, erzählen möchte. Als Material bleiben dann vor allem Erinnerungen von Zeitgenossen, ein paar Gänge ins Archiv und, als Quell steter Freude, die Stimme des Meisters – Aufzeichnungen von Vorlesungen und Diktate.

Als Ausgangspunkt dienen die Erinnerungen des Filmemachers Christoph Rüter an seinen Besuch der legendären Freitagsvorlesungen, die Blumenberg Mitte der 1980er-Jahre an der Universität Münster hielt und zu denen „halb Münster pilgerte“ (Rüter).

In einem Kleinbus auf Blumenbergs Spuren

Münster ist deshalb auch der Ausgangspunkt dieser filmischen Spurensuche in Gestalt eines philosophischen Road Movies. Rüter hat zwei ehemalige Kommilitonen eingeladen, ihn erinnernd und diskutierend in einem Kleinbus auf der Fahrt quer durch Deutschland zu begleiten. Auch Burkhard Lütke Schwienhorst und Klaus Schölzel sind gleichfalls Blumenberg-Fan-Boys und haben ihren Meister, sein Denken und sein Werk „drauf“ und „eigentlich immer“ einen Band von Blumenberg zur Hand.

Das Motto der Reise lautet „Weshalb ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Man erfährt, welche Texte Blumenberg für sein Philosophieren als kanonisch erachtete (Husserl, Heidegger, Gehlen). Und dass der Hochschullehrer Vorlesungen gegenüber der Seminarform klar bevorzugte, weil dann zumindest einer im Raum wisse, „wie es gemacht wird“. Humor habe Blumenberg gehabt. Er habe aber auch das Tempo beim öffentlichen Denken derart anziehen können, dass ihm selbst seine Assistenten nicht mehr zu folgen vermochten. Seine komplexen, verschachtelten und ausufernden Sätze konnte er fehlerfrei auf Band diktieren, solange er vorher wusste, wohin die Reise ging.

Die Tour von Rüter & Co. führt zunächst nach Lübeck, wo der 1920 geborene Blumenberg als Jahrgangsbester des Landes das Abitur ablegte, aber als „Halbjude“ (NS-Jargon) die Abiturrede nicht halten durfte. Fazit alter Klassenkameraden: Keine Sportskanone, aber auch als Primus respektiert und wohlgelitten. Nach kurzer Zeit musste er sein Studium der Katholischen Theologie abbrechen, wurde zum Arbeitsdienst eingezogen, vom Arbeitergeber Heinrich Dräger allerdings aus der Internierung „befreit“. Während der letzten Kriegswochen versteckte er sich, um die NS-Zeit zu überleben. Finanziell unterstützt von Dräger, nahm er nach 1945 das Studium – jetzt Philosophie, Germanistik und Klassische Philologie – wieder auf, promovierte und habilitierte sich in Kiel. Es folgten Professuren in Hamburg, Gießen, Bochum und schließlich Münster.

Der Film bleibt nicht im Anekdotischen stecken

Im Literaturarchiv Marbach erfährt man aus dem Nachlass, dass Blumenberg minutiös darüber Buch geführt hat, welche Bücher, Filme und Fernsehsendungen er wie lange und wann gelesen und gesehen hat. Auch sind Teile seiner Bibliothek einzusehen. Mit Anstreichungen! In München erzählt Michael Krüger davon, wie schwierig es sich gestaltete, Blumenberg ein aktuelles Foto für das Cover einer ihm gewidmeten Nummer der Literaturzeitschrift „Akzente“ zu entlocken. Doch der Film bleibt nicht im Anekdotischen stecken, sondern unternimmt durchaus seriöse Versuche, einzelne Momente und Begriffe der Philosophie Blumenbergs wie etwa „Nachdenklichkeit“, „Seinsvergessenheit“ oder „Selbstbehauptung“ im Team mit einschlägigen Wissenschaftlern zumindest zu skizzieren.

Interessant sind einige Gedanken zum Traum, interessanter aber noch die Art und Weise, wie ein Leitspruch des Lübecker Gymnasiums von Blumenberg Jahrzehnte später grammatikalisch korrekt und doch gegen den Strich interpretiert wurde: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.“

Das alles wird sehr unterhaltsam ausgebreitet und macht umgehend höchste Lust darauf, Bücher wie „Schiffbruch mit Zuschauer“, „Matthäuspassion“ oder die gesammelten „Schriften zur Literatur“ wieder zur Hand zu nehmen.

Als eine Art Überschuss ließe der Film durch die vermittelte Form der Präsenz des Protagonisten als Stimme und Subjekt von Anekdoten und Buchtiteln auch die Interpretation zu, dass man ihn zumindest einige Passagen lang als Mockumentary, als fiktives Porträt lesen könnte. Wenn sich die Blumenberg-Fan-Boys darüber austauschen, was „ER“ wohl hierzu oder dazu gesagt hätte, wenn geschmunzelt wird und Lektüre-Tipps ausgetauscht werden, oder sich die Augen schließen, wenn die Stimme des Meisters erklingt, die atemberaubend Kompliziertes artikuliert und wissendes Lächeln in die Gesichter der Zuhörenden zaubert, dann entbehrt das ebenso wenig einer schönen Komik wie die Tatsache, dass den Herren die Anstrengungen ihrer Reise nach ein paar Tagen durchaus ins Gesicht geschrieben sind.