Der atmende Gott – Reise zum Ursprung des modernen Yoga – Der in Celle geborene und aufgewachsene Kameramann Diethard Prengel ist heute Abend zu Gast
Eintritt: frei
Reservierung: 1 Euro
Deutschland 2011
Kinostart: 5. Januar 2012
104 Minuten
FSK: ab 0; f
Produzenten: Marieke Schroeder und Jan Schmidt-Garre
Regie/Drehbuch: Jan Schmidt-Garre, auf imdb, auf Filmportal.de, auf Filmdienst.de, auf Crew United
Kamera: Diethard Prengel, Prengel auf imdb, Prengel auf Filmportal.de, Prengel auf Filmdienst.de, Prengel auf Crew United
Musik: Tony Longworth
Ton: Christoph von Schönburg
Schnitt: Gaby Kull-Neujahr
Filmhomepage, Filmseite des Verleihs, WIKIPEDIA, alle Daten zum Film auf Filmportal.de sowie auf Crew United, Pressematerial, Presseheft
Kritiken:
Kritik von Annette Hahn auf Kunst & Film (5 von 6 Sternen)
Kritik von Wolfgang Hamdorf im Filmdienst (3 von 5 Sternen)
Kritik von Jan Hamm auf Filmstarts.de (3,5 von 5 Sternen)
Kritik von Peter Gutting auf Kino-Zeit.de
Kritik von Wolfgang Nierlin auf Filmgazette.de (5 von 10 Sternen)
weitere deutschsprachige Kritiken auf imdb.com
Jan Schmidt-Garre über Opernregie
Trailer (89 Sekunden):
ausführliche Kritik Filmdienst
Bäume rauschen im Wind. Von dem alten Dorf in Südindien ist nichts mehr zu sehen. Hier wurde 1890 T. Krishnamacharya, der Urvater des modernen Yoga, geboren. Regisseur Jan Schmidt-Garre begibt sich auf die Suche nach den Spuren des Mannes aus Muchukunte, der 1989 starb. Die Biografie Krishnamacharyas sowie die Begegnung mit seinen Schülern und seinen Kindern bilden einen roter Faden, der andere ist ein wunderbares musikalischen Motiv: das „Hindulied“ des russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow aus dem Jahr 1897, das hier stellvertretend für die westliche Sehnsucht nach östlicher Weisheit steht. Der dritte rote Faden ist die Entwicklung der Yogalehre auf dem Subkontinent, von der Zeit des britischen Imperiums bis zum modernen Indien. Der Dokumentarfilm erzählt teilweise mit bewegter Kamera, dann wieder mit ruhigen Einstellungen bei den Interviews, aber auch mit viel spannendem Archivmaterial. Er zeigt Zeitzeugen, Freunde, Schüler und Familienangehörigen in ihren Lebenszusammenhängen und vermittelt fast beiläufig viel vom sozialen und kulturellen Wandel des indischen Subkontinents.
Immer wieder geht es um die Frage nach dem Ursprung des modernen Yoga, nach der Treue zur Tradition und den Neuerungen in den letzten 100 Jahren. Stammt das moderne Yoga von 5.000 Jahre alten Texten ab, oder hat es erst im 20. Jahrhundert seine Form gefunden? Yoga, das wird schnell deutlich, ist weder eine kryptische Geheimlehre noch ein leichtes Entspannungsprogramm. Geradezu physisch deutlich wird das, wenn der Regisseur am Lotusblütensitz verzweifelt, von B. K. S. Iyengar, dem strengen Schwager Krishnamacharyas, aber immer wieder zur Wiederholung angetrieben wird. „Yoga ist immer möglich“, sagt der alte Meister. Alle Figuren sollten bis zu 30 Minuten gehalten werden; doch schon beim Zusehen eines Lotussitzes oder Kopfstands verspannen sich beim Laien schnell alle Muskeln. Trotz aller damit verbundenen Anstrengungen ist Yoga heute so populär wie Jogging und darüber hinaus noch mit dem spirituellen Mehrwert einer „Verschmelzung“ von Körper und Geist versehen. „In meiner Jugend“, sagt Iyengar, der mit seinem manchmal strengen, manchmal heiteren Gesicht fast an den Indien-Freund und Philosophen Schopenhauer erinnert, „wussten die Leute in Indien nichts von Yoga. Das war etwas für Scharlatane und Halbdebile.“ Yoga besaß einen gesellschaftlichen Stellenwert vergleichbar dem der Zirkusakrobatik; für die gebildeten Stände sei Yoga weniger eine körperliche Anstrengung, sondern eher eine spirituell-philosophische Herangehensweise gewesen. Erst 1927 entstand dann so etwas wie eine neue Yogabewegung.
Der Film präsentiert Krishnamacharya, der seine Übungen vor dem Maharadscha von Mysane demonstriert. Der richtete ihm 1934 eine Yogaschule ein, und Krishnamacharya entwickelte ein neues, schnelleres und härteres Yoga, mit neuen Übungen, „Asaros“. Der Yogameister hatte sechs Kinder; die Jüngeren berichten vom rigiden Tagesablauf und der harten Konzentration, die ihr Vater forderte. Wissen sei Reichtum, ein verlorener Schatz, den es wieder zu entdecken gelte. In einer Welt des alten magischen Indiens, das in Archivaufnahmen von Schlangenbeschwörern, Fakiren und Sanskrit-Gelehrten projiziert wird, wirkt es gar nicht mehr so verwunderlich, dass Krishnamacharya seinen Herzschlag zwei Minuten lang anhalten konnte. Sein Schwager Iyengar äußert sich dagegen auch kritisch gegenüber dem Meister und schildert ihn als zwiespältige Figur, der ihn oft über die Grenze der Belastbarkeit hinaus geführt habe. Nach der Unabhängigkeit Indiens wurde die Yogaschule des Maharadschas geschlossen. Krishnamacharya wurde Therapeut und gab Einzelunterricht. In letzten Aufnahmen auf verblasstem Farbmaterial ist der alte Guru noch einmal mit langem weißen Bart beim Essen zu sehen.
„Der atmende Gott“ gehört nicht zum Wellness-Kino spiritueller Erfahrungen, das mit fernöstlichen Rezepten und exotischer Mystik europäischen Postmaterialisten Lebenshilfe bietet, sondern präsentiert sich als Spurensuche und dem ehrlichen Bemühen, eine spirituelle Philosophie zu erfassen. Der Film ist zugleich eine Art „Buena Vista Social Club“ des modernen Yoga, weil er neben den historischen Aufnahmen Krishnamacharyas auch dessen Schüler Pattabhi Jois (der während der Dreharbeiten starb) sowie den legendären Iyengar, den Schwager des Meisters, porträtiert. Jan Schmidt-Garre behauptet keine falsche Insider-Perspektive, erzählt aber auch nicht aus europäischer Verliebtheit in rückschrittlicher Exotik. Wenn er am Ende dem Götterbild Narasimhas, dem atmenden Gott, gegenüber steht, klärt das nicht die einleitende Frage nach dem Ursprung des modernen Yogas, vervollständigt aber ein facettenreiches, nicht bis ins Letzte erklärbares Bild des modernen Indien.
Eine Kritik von Wolfgang Hamdorf