Styx
Eintritt: 5 €
Deutschland 2018
Kinostart: 13. September 2018
94 Minuten
FSK: ab 12; f
Regie: Wolfgang Fischer
Drehbuch: Wolfgang Fischer, Ika Künzel
Kamera: Benedict Neuenfels
Musik: Dirk von Lowtzow
Schnitt: Monika Willi
29 Filmpreise plus 17 Nominierungen
Darsteller:
Susanne Wolff (Rike), Gedion Oduor Wekesa (Kingsley), Alexander Beyer (Paul), Inga Birkenfeld (Marie)
Filmhomepage, Wikipedia, alle Daten zum Film auf Filmportal.de
Kritiken:
Kritik von Rudolf Worschech im Filmagazin EPD (5 von 5 Sternen)
Kritik von Michael Ranze auf Programmkino.de
Kritik von Ulrich Kriest in der Filmgazette (und Konkret)
Kritik von Martina Knoben in der Süddeutschen Zeitung
Kritik von Verena Lueken in der FAZ
Kritik von Thomas Assheuer in der Zeit
Kritik von Guda Bartels im Tagesspiegel
Kritik von Stephanie Grimm auf der Webseite Kunst und Film (6 von 6 Sternen)
Kritik von Cosima Lutz in der Welt
Kritik von Matthias Dell im Spiegel
Kritik von Harald Mühlbeyer auf Kino-Zeit.de
Kritik von Rüdiger Suchsland auf artechock film
Kritik von Christina Tilmann in der Neuen Züricher Zeitung
Interview mit Susanne Wolff in der FAZ
Interview mit Susanne Wolff im Tagesspiegel
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Kurzkritik Filmdienst
Auf einem Segeltörn von Gibraltar Richtung Südatlantik trifft eine deutsche Ärztin mit ihrer Yacht auf ein havariertes Flüchtlingsschiff. Die alarmierte Seenothilfe fühlt sich jedoch so wenig verantwortlich wie ein Containerschiff. Das sich in der Folge abspielende menschliche Drama entspinnt sich als Thriller, der vor dem Hintergrund des offenen Meeres auf den europäischen Diskurs um die Seenotrettung afrikanischer Flüchtlinge zielt. Der bedrängende Film tendiert dazu, die tragische Komplexität zugunsten einer allzu didaktischen Mechanik aufzulösen; als präzise inszenierte Allegorie überzeugt er hingegen durchaus.
Sehenswert ab 14.
Karsten Munt
Trailer (65 Sekunden):
Videofilmkritik der FAZ von Verena Lueken (163 Sekunden):
ARD - ttt - titel thesen temperamente ( 5 Minuten):
Berlinale Nighttalk mit Regisseur Wolfgang Fischer und Susanne Wolff (11 Minuten):
ausführliche Kritik Filmdienst
Eine rote Leine schaukelt auf den Wellen des Meeres. Sie ist die Absicherung auf offenem Gewässer; eine Lebensversicherung, die eine Rettung auch dann ermöglicht, wenn sich der Retter nicht selbst der Strömung aussetzen will. Die Leine ist eine Art letzter Faden, der die Welt der Lebenden vom Hades trennt, dessen Präsenz in „Styx“ bereits im Titel angedeutet wird.
Als zentrales Symbol legt der rote Faden in den Wogen des Meeres aber auch die Implikationen eines allzu distanzierten politischen Diskurses frei, während er gleichzeitig den mitunter allzu programmatischen Ansatz von Wolfgang Fischer versinnbildlicht, den der österreichische Regisseur in seinem zweiten Spielfilm verfolgt.
Zunächst einmal ist die Leine nur die schlichte Routineabsicherung eines Erfrischungsbads auf hoher See. Vertäut am Heck einer Segelyacht, sichert sie Rike in den Weiten des Atlantiks ab. Die Notärztin, die allein auf ihrem Boot das Meer durchquert, ist mit der Routine der Eigensicherung vertraut. Lange, bevor sie ins Wasser springt, liegt die Leine schon auf den Wellen, und ihre Schwimmzüge führen nur genau so weit, wie die Absicherung reicht. Überhaupt sitzt bei der Ärztin jeder nautische Handgriff. Die Souveränität, mit der sie ihre kleine Yacht navigiert, spiegelt ihre Professionalität bei der Arbeit wider, die der Film eingangs bei einem Autounfall demonstrierte.
Karsten Munt
Fischer inszeniert die Segelfahrt ohne Musik oder Dialog. Keine Psychologisierung oder Charakterisierung unterbricht die Choreografie der Hochseemanöver, mit denen Rike ihren Urlaub antritt, nur begleitet vom Meeresrauschen, den goldenen Sonnenstrahlen und dem Rhythmus der Tide. Eine Urlaubsidylle, die auf offener See nur bis zum nächsten Sturm Bestand hat. „Styx“ interessiert sich dabei nicht für den Kampf gegen die Naturgewalt, sondern für das Meer, das sich vom Urlaubsort in eine Todeszone verwandelt. So wird die Yacht vom Sturm zwar wie ein Kartoffelchip umhergeworfen, treibt am nächsten Tag aber ruhig und wie hochglanzpoliert in der Morgensonne dahin. Bis ein weiteres Schiff auftaucht – vollbesetzt und manövrierunfähig.
Es ist ein Flüchtlingsboot, das nahe der mauretanischen Küste havariert ist. An Deck drängen sich Menschen, die um Hilfe schreien. Die Ärztin ruft die Küstenwache. Die bekundet ihren Willen zur Hilfe, entsendet jedoch kein Boot. Und auch der vor dem Sturm noch so hilfsbereite Kapitän eines Containerschiffs versteckt sich plötzlich hinter der geschäftspolitischen Leitlinie seiner Arbeitgeber.
Rike selbst strebt bei der Suche nach Hilfe eine unbeteiligte Position an. Doch diese wird ihr von der Staatsmacht wie vom Privatunternehmen verwehrt. Wo sich im aktuellen Diskurs die Sehnsucht nach einer Position der politischen Neutralität gegenüber den Flüchtlingen, die auf dem Mittelmeer treiben, breit gemacht hat, mobilisiert „Styx“ alle erdenklichen filmischen Mittel gegen den Irrglauben, es gäbe zwischen den Positionen „Jeden Menschen retten“ und „Jeden Flüchtling ertrinken lassen“ eine tragbare Mittelposition. In eben dieser Mitte kommt Rike nach dem Sturm selbst zum Liegen, und in eben dieser Bewegungsunfähigkeit entfaltet der Film eine klaustrophobische Grenzenlosigkeit der endlos weiten See. Das offene Meer erscheint nicht mehr im goldenen Glanz, sondern schwappt im ewigen Dunkelblau gleichgültig vor dem havarierten Flüchtlingsboot. Der Versuch des Wegschauens oder der Flucht wird vom Wind übertönt, der die Stimmen der sterbenden Flüchtlinge übers Wasser trägt. Es ist die Hilflosigkeit, die Unbestimmtheit und Offenheit, die Rikes Situation so unerträglich und die Allegorie des Films so schlagend macht.
Doch gerade dieser nicht auflösbare Konflikt, der so präzise die europäische Position – oder eben die völlige Abwesenheit einer Position – wiedergibt, wird von der Inszenierung sehr entschieden unterlaufen, wenn der Film auf einen Fluchtpunkt hinsteuert. Denn das allegorische Programm wandelt sich in ein didaktisches, das die Komplexität und Beklemmung zu einer Belehrungsmechanik verdichtet. Die bedrohliche Weite des Meeres wird davon ebenso plattgewalzt wie die allegorische Wirksamkeit des Films. Die Spannung löst sich mit der Konkretisierung der Situation komplett auf, der Zuschauer ist nicht mehr allein der tödlichen Endlosigkeit des Meeres ausgesetzt, sondern beobachtet, wieder unbeteiligt und aus sicherer Distanz, das Ende von einer der zahllosen Tragödien, die sich rund ums Mittelmeer und darüber hinaus abspielen und weiter abspielen werden.
Das Ethos von „Styx“ wird trotzdem klar artikuliert: Es ist nicht egal, wer gerade ertrinkt. Ertrinkende Europäer werden als Menschen betrachtet, ertrinkende Flüchtlinge hingegen als Problem. Ein Problem, für das eine einzige rote Rettungsleine nicht mehr ausreicht.
Karsten Munt