„Es war ein Experiment. Doch dann wurde dieses ungeliebte Land zu einem Paradies“, sagt Isabella Tree, die Autorin des Buches „Wildes Land – Die Rückkehr der Natur auf unser Landgut“. Darin beschreibt sie den dornigen Weg, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Charles Burrell beschritten hat, um aus der industrialisierten Landwirtschaft ihrer Schwiegereltern etwas Neues, Besseres zu machen. Eine natürliche Umgebung, in der sich Tiere und Pflanzen frei entfalten können, ohne Eingriffe des Menschen.
Der Boden ist nahezu tot
Ende der 1980er-Jahre übernahm das junge Ehepaar das hoch verschuldete Landgut Knepp Castle. Mit Hilfe von Subventionen und viel Chemie hielten sie 16 Jahre lang durch. Doch die Schuldenlast stieg, die Erträge sanken. Ein Experte für Bodenkultivierung und Bäume diagnostizierte, dass es in der Erde fast kein organisches Leben mehr gebe. Sie sei quasi tot, reiner Dreck.
In dieser Zeit stießen die Eheleute in Holland auf den niederländischen Biologen Frans Vera, der ein größeres Gebiet gezielt verwildern ließ und dort Weidetiere ansiedelte. Die Burrells beschlossen, allen Unsicherheiten zum Trotz, seinem Beispiel zu folgen. Sie versteigerten die Gerätschaften ihrer Farm, stellten die agrarische Bearbeitung ein und siedelten Rinder, Schweine und Ponys an, die sich fortan weitgehend ohne menschlichen Einfluss in der Natur behaupten mussten und die Renaturierung beschleunigen sollten.
In einem zähen Kampf setzten die Burrells ihre Vision auch gegen die Widerstände in der Nachbarschaft und gegen die Ämterbürokratie durch. Sie wurden beschuldigt, unverantwortlich und unpatriotisch zu handeln, da ihre Vorstellungen von einer natürlichen Landschaft nur noch wenig mit den üblichen Postkartenansichten der englischen Provinz gemein hatten. Doch am Ende obsiegten sie; die Burrells wissen jetzt, wie es geht. Zudem sind sie inzwischen Teil einer Bewegung, die aus der konventionellen Landwirtschaft mit ihren Monokulturen aussteigen will, um zur Artenvielfalt und zu einem gesunden Ökosystem durch extensive Landnutzung zurückzukehren.
Rotkehlchen und Nachtigallen
Die Gegend um das Schloss hat sich von einem englischen Agrargebiet in eine ziemlich wilde Naturlandschaft verwandelt, in der die Tiere auf Trampelpfaden kreuz und quer durchs Gelände ziehen. Überall regt sich nun Leben: Da tschilpen die Rotkehlchen und die Nachtigallen singen, Hirsche röhren. Im Wald und auf der Heide herrscht reges Treiben. Das ist manchmal fast kitschig, aber wer kann schon dem Anblick einer niedlichen Zwergmaus widerstehen, die ihr kuschliges Nest baut?
Nach langen Kämpfen gegen den Amtsschimmel ist es den Burrells sogar gelungen, wieder Biber und Störche anzusiedeln. Der erste seit 600 Jahren in Freiheit geborene englische Jungstorch hebt seine Schwingen und startet zum Jungfernflug. Ein magischer Moment.
Visuell ist der Film perfekt; eine Ode an die Natur, die in schwelgerischen Bildern gefeiert wird, mit exquisiten Effekten, Zeitlupe und Zeitraffer, Makroaufnahmen, Animationen, Drohnenbilder. Inhaltlich kommt „Wildes Land“ ohne Höhepunkte oder Krisen aus. Der Film folgt chronologisch der Geschichte der Burrells, wobei einige Szenen aus den Anfangsjahren mit Schauspielern nachgestellt sind. Dabei gibt es auch Szenen mit einem Exmoore-Pony, das nicht weiß, ob es wild oder zahm ist und deshalb ins Schloss einbricht. Noch vergnüglicher ist eine Episode mit Schweinen, die gemeinsam mit dem Pony ein Polo-Turnier aufmischen und sich am Büfett vergnügen. Manches ist auch rührend, etwa das Hausschwein, das sich instinktiv richtig verhält, als es in der freien Natur wirft und nachts seine Ferkelchen wärmt. Sehr schön sind auch die Distelfalter, die zu Tausenden vom Himmel fallen und das Landgut vor der gefährlichen Kratzdistel retten.
Ein touristischer Hotspot
Ein paar Wermutstropfen gibt es aber dennoch. So bleibt unklar, wie das Ehepaar finanziell über die Runden kommt. Lediglich am Rande findet sich eine winzige Andeutung, dass sie das Fleisch der Tiere verkaufen. Was irgendwie logisch ist, da eine ungeregelte Vermehrung der Viehbestände gravierende Umweltschäden zur Folge hätte. Aber warum wird das nicht thematisiert? Dass die Burrells auf staatliche Fördermittel setzen und ihr Anwesen überdies zu einem touristischen Hotspot gemacht haben, ist ebenso wenig ehrenrührig, wird aber ebenfalls nur am Rande erwähnt. Vermutlich sollte hier der Eindruck einer perfekten Idylle nicht durch die schnöde Realität gestört werden.