Igor Levit (Eintritt frei)

  Donnerstag, 07. März 2024 - 19:00 bis - 21:05

In Kooperation mit der
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Celle e.V.

Am 3. März 2024 wird dem Pianisten und Aktivisten Igor Levit im Kurfürstlichen Schloss in Mainz im Rahmen der Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“ die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Die Laudatio hält Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission. Aus Anlass dieser Ehrung zeigen wir den Film „No fear“.

„Citizen. European. Pianist.“ – mit diesen Stichworten beschreibt Igor Levit sich selbst auf seiner Website. Die Reihenfolge ist Programm. Zuallererst begreift sich der als einer der besten Pianisten der Welt geltende Künstler als „Citizen“ – als Bürger. Dabei ist er nicht nur ein Bürger Deutschlands, sondern als „European“ einer, der sich als Teil dieses Kontinents mit seiner historischen Verantwortung versteht. Levit möchte vor allem als ein Mensch wahrgenommen werden, der politisch mitgestalten will. Entsprechend gehören für Igor Levit seine Musik und politisches Engagement zusammen. Er ist Pianist und Aktivist. Dafür hat er bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

Mit der Buber-Rosenzweig-Medaille will der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) seinen Einsatz gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit, seien es Antisemitismus, Rassismus oder andere Formen der Diskriminierung, und für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft würdigen.


Eintritt: frei

Deutschland 2022
Kinostart: 6. Oktober 2022
124 Minuten
FSK: ab 0; f

Regie/Drehbuch: Regina Schilling 

alle Daten zum Film auf Filmportal.de 

Kritik von Jörg Gerle im Filmdienst (4 von 5 Sternen)  

Trailer (118 Sekunden):  



ausführliche Kritik Filmdienst  
Dokumentarisches Porträt des charismatischen Pianisten Igor Levit, das der Musik ebenso großen Raum wie dem empathischen Künstler dahinter einräumt.

„In 4 nach G(ustav), bitte, wo die Geigen dieses subito fortissimo haben. Wenn Sie da das auch nicht mit einem Akzent spielen, sondern sofort wirklich voll schön losgehen, dann geht es so richtig auf. Ach, und Igor – du bist ein bisserl schnell in 173. Genau das sind keine Triolen.“

Proben sind immer auch ein wenig Tortur. Auch für den interessierten Beobachter, der fasziniert und unwissend dabei zuschaut, wie ein ganzes Orchester, hier das Gewandhausorchester Leipzig, auf Geheiß des Dirigenten, Franz Welser-Möst, an der richtigen Stelle in richtigem Tempo und Dynamik einsetzt, um mit dem Solisten, Igor Levit, in Ein- und Wohlklang zu kommen. Es ist spannend und befremdlich zugleich, wie aus Fragmenten, etwa Hans Werner Henzes „Tristan – Préludes für Klavier, Tonbänder & Orchester“, etwas Rundes und Wunderbares entsteht.

Absurde Läufe, flirrende Noten

Für den Klaviervirtuosen Igor Levit kommt es nicht häufig vor, dass er Proben mit einem großen Orchester verbringt. Normalerweise sitzt er allein auf der Bühne oder im Studio und gräbt sich in die Klavierstimme einer Beethoven-Sonate. Oder in Ronald Stevensons „Passacaglia on DSCH“, ein atemberaubendes, aber auch atemberaubend schweres Stück aus dem Jahr 1962, an dessen handspreizenden, flirrenden Notenfolgen Levit mitunter verzweifeln möchte. Aber er beißt sich durch, kriecht in die Systeme mit den absurden Läufen hinein und erschafft im besten Sinne Harmonie.

Erst dann ist der 35-jährige Musiker mit sich im Reinen und legt sich mitunter schon einmal flach und psychisch erschöpft auf den Boden der karg ausgestatteten Probenbühne. Levit zeigt gerne, wie er sich fühlt.

Für Igor Levit müsste man einen neuen Begriff erfinden: den eines „Emphatisten“. Wie sich der Musiker gibt, wenn er mit seiner Musik und seinen Liebsten in Einklang ist, zeigt schon die dritte Szene des dokumentarischen Porträts von Regina Schilling. Nach einem Prolog, in dem Levit seinen Flügel in die neue Wohnung geliefert bekommt und einem ersten Konzertauftritt mit den Beethoven-Sonaten in Amsterdam folgt nach gut neun Minuten diese zentrale Stelle des Films, die zeigt, wie Igor Levit „tickt“.

Zusammen mit seinem Tonmeister und väterlichen Freund Andreas Neubronner sitzt er in dessen kleinem, spärlich beleuchtetem Studio in Stuttgart über der Klavierpartitur einer Sonate. Beide hören sich die Einspielungen des letzten Tages an. Palavern, frotzeln, lauschen hochkonzentriert jeder Nuance der Abmischung. Am Schreibtisch passt lediglich Levits Handy zwischen die beiden. Aus dem Off hört man, was einmal Teil seiner Gesamteinspielung der 32 Beethoven-Sonaten werden soll. Die Kamera gibt vage einen Blick auf das Computermischpult im Licht der Schreibtischlampe und die im Halbdunkel verschwindenden Rücken der Protagonisten frei. Plötzlich aber sieht man im Umschnitt die beiden im warmen Licht der Lampe von vorn über die Partitur gebeugt, wie sie der Sonate Nr. 25 lauschen. Levit folgt dem Klang, indem er auf dem Unterarm von Neubronner die Tonfolge ganz behutsam mit den Fingern seiner rechten Hand tippt. Die Szene ist so intim wie authentisch. Sie zeigt Levit als „Emphatist“. Wenn er „drin“ ist, kann er mit seinen Gefühlen kaum haushalten. Er wird innig, fast schon anhänglich. Levit kann nichts einfach nur so machen. Es gibt kein „business als usual“, wenn es um Musik oder seine Freunde geht. Nur ein „ganz oder gar nicht“.

Levit entwickelt dabei ein unglaubliches Sendungsbewusstsein. Er will sich mit seinen Liebsten mitteilen, und er will seinen Lebensinhalt offenbaren. Das ist nicht nur die Musik.

Nur sein Handy hat noch Platz

Die Regisseurin Regina Schilling geht aus dieser Intimität mit einem schlichten „Super! Und jetzt mach’ ich eine ganz kurze Pause“ heraus. Während Neubronner in die Küche läuft, greift sich Levit sein Handy und twittert unter @igorpianist lakonisch in die Wellt: „Oh how I love Beethoven Sonatas…“

Igor Levit ist ein Ausnahmekünstler. Hochbegabt schon als Kind. Begnadet als Erwachsener. Er trägt seine Emphase am Klavier vor, wie sonst vielleicht nur Glenn Gould, der es „wagte“, bei seinen Bach-Einspielungen mitzusummen. Im Unterschied zu anderen Virtuosen geht Levit das Umziehen vor Konzerten eher auf den Keks. Er würde am liebsten in T-Shirt oder ganz in Schwarz spielen. Das ist eine Attitüde, aber sie ist nicht gestellt. All das wäre noch kein hinreichender Grund, über den charismatischen Künstler einen Dokumentarfilm zu machen. Doch Levit ist besonders. Als „Emphatist“ ist sein Handy sein zweitliebstes Spielzeug. Twitter und Instagram. Kein Tag vergeht ohne ein, zwei, drei Kommentare, Befindlichkeiten und Pointen. Seine Hauskonzerte, mit dem Handy aufgenommen, haben ihn während Corona psychisch am Leben gehalten.

Schilling spielt mit diesem Umstand, in dem sie ihn nicht nur beim Posten und bei Hauskonzerten beobachtet, sondern seine Tweets auch auf die Leinwand bringt. Natürlich tummeln sich auch andere Klassiker-Interpreten in sozialen Netzwerken. Als „Empathist“ nimmt sich Levit aber heraus, nicht nur in musikalischen Dingen etwas zu sagen. Seitdem er als „jüdischer Kontingentflüchtling“ (was für ein schrecklicher Begriff!) im Alter von sieben Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen ist, weiß Levit, wie steinig es ist, hier heimisch zu werden. Levit ist ein immens politischer Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Vielleicht war das der Grund, warum der Dokumentarfilm „Igor Levit – No Fear“ heißt. Regina Schilling macht daraus aber keinen politischen Film. Zwar gibt es ein Konzert für Waldbesetzer und eine aufregende Diskussionsrunde mit Wolfgang Schäuble, in dem der CDU-Politiker Ungeheuerliches von sich gibt. Schilling und Levit aber kontern diesen Affront mit einer großartigen Pointe.

Zehn Minuten Waldstein-Sonate

Es sind auch diese Momente, die „Igor Levit – No Fear“ adeln. Doch vor allem ist es die Musik. Zwei Stunden nimmt sich der Film Zeit – und man sollte bis zum „jüdischen Witz“ im Abspann bleiben. Zwei Stunden, die nötig sind, weil Schilling der Musik – und mit ihr der Emphase des Künstlers – genug Zeit zur Entfaltung gibt. So sieht und hört man den dritten Satz aus Beethovens Waldstein-Sonate, die Levit als Promo-Auftritt für seine CD-Einspielungen in der Willy-Brandt-Teamschule in Berlin-Mitte spielt. Knapp zehn Minuten ungekürzt und ohne Schnitt. Spätestens danach weiß man, was ein wirklicher „Emphatist“ ist.