Dienstag, 14. Juli 1970 - 20:30 bis - 22:30
Eintritt: 5,00 €
CÉZANNE ET MOI
Frankreich 2016
Kinostart: 6. Oktober 2016
114 Minuten
FSK: ab 0; f
Regie/Drehbuch: Danièle Thompson
Kamera: Jean-Marie Dreujou
Musik: Eric Neveux
Schnitt: Sylvie Landra
Darsteller:
Guillaume Gallienne (Paul Cézanne), Guillaume Canet (Émile Zola), Alice Pol (Alexandrine Zola), Déborah François (Hortense), Sabine Azéma (Madame Cézanne), Gérard Meylan (Monsieur Cézanne), Laurent Stocker (Auguste Vollard), Isabelle Candelier (Émilie Zola), Freya Mavor (Jeanne), Félicien Juttner (Guy de Maupassant)
Filmhomepage, Wikipedia, Programmkino.de
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Kurzkritik Filmdienst
Émile Zola und Paul Cézanne kennen sich seit ihrer gemeinsamen Kindheit in Aix-en-Provence. Auch später pflegen sie ihre ambivalente Freundschaft durch alle Wirren der Pariser Bohème-Zeit hindurch, bis die Spannungen überhandnehmen und es zum Bruch kommt. Der impressionistische Kostümfilm zeichnet die vielschichtige Beziehung der Künstler mit Anspielungen auf die zeitgenössischen Debatten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach, womit nicht nur persönliche und familiäre Konflikte wie etwa die Liebe zur selben Frau eine Rolle spielen, sondern ansatzweise auch die intellektuellen Diskurse an der Schwelle zur Moderne. Der ambitionierte Erzählfluss stützt sich auf die vorzügliche Kamera und zwei herausragende Hauptdarsteller.
Sehenswert ab 14.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2016/20
Trailer (56 Sekunden):
ausführliche Kritik Filmdienst
Zwei Künstler, ungefähr gleich alt, sind seit frühester Jugend befreundet, obgleich sie unterschiedlichen sozialen Klassen entstammen. Der eine, aus ärmlichen Verhältnissen und mit italienischen Wurzeln, wird ein populärer Schriftsteller, ein Naturalist, spezialisiert auf provokante Gesellschaftsromane und immer bereit, in brisante gesellschaftliche Debatten einzugreifen: Émile Zola. Der andere, aus reichem Hause, ist ein selbstkritisches Genie, das zum Misanthropen wird, weil sein radikales Kunstverständnis von der Kunstkritik wie von der Öffentlichkeit Jahrzehnte nicht erkannt und entsprechend gewürdigt wird: Paul Cézanne. Beide pflegen diese Freundschaft durch alle Experimente, Wirren und Verwerfungen ihrer Pariser Bohème-Zeit hindurch, bis die Widersprüche und Spannungen dieser Beziehung schließlich manifest werden.
Die Regisseurin Danièle Thompson ging bei „Meine Zeit mit Cézanne“ offensichtlich davon aus, dass die Biografien von Zola und Cézanne sowie ihr zeitgenössisches kulturgeschichtliches Umfeld hinlänglich bekannt sind, weshalb sie sich mutig für einen impressionistischen Kostümfilm voller Anspielungen entschieden hat.
Dieser Ansatz birgt das Risiko einer gleichzeitigen Oberflächlichkeit und Überdeterminiertheit, schließlich erzählt diese Biografie nicht nur Familien- und Liebesgeschichten, sondern sie entwickeln sich auch innerhalb einer komplexen, von divergierenden Diskursen und Debatten bestimmten Kunst-und Kultur-Szene an der Epochenschwelle zur Moderne, wo es um solche Konfliktfelder wie Industrialisierung, Beschleunigung und Ich-Dissoziation ging. Neben persönlichen und familiären Konflikten spielt auch die Auseinandersetzung mit Fragen des Realismus, des Naturalismus, des Impressionismus und dessen Überwindung im Zeichen der Moderne eine große Rolle. Wenn also von Balzac, Flaubert oder Mérimée oder von Géricault, Renoir, Monet, Manet oder Pissarro die Rede ist, dann sind damit einerseits theoretische Positionen verknüpft, andererseits dienen die Namen auch als chronologische Indices von politischen Ereignissen wie der Pariser Kommune oder der Affäre Dreyfus. Die Kunstproduktion selbst, die Arbeit zwischen Idee, Entwurf, Reflexion und Realisation, bleibt dafür unterbelichtet, was gerade im Falle des seine Arbeiten immer wieder verwerfenden Cézanne ein erhebliches Manko darstellt.
Die eher von einer Art Hass-Liebe charakterisierte Freundschaft zwischen Zola und Cézanne wird durch ideologische Spannungen auf die Probe gestellt, die auch mit der unterschiedlichen Herkunft zu tun haben. Zola verschreibt sich dem Zeitgeist und wird ein einflussreicher Autor, der den erfolglosen Freund lange unterstützt, bis er ihn schließlich in seinem Schlüsselroman „Das Werk“ (1886) fundamental in Frage stellt und brüskiert.
Der Film „Meine Zeit mit Cézanne“ imaginiert eine erneute Begegnung und Aussprache der beiden Freunde, die in der Realität nicht stattgefunden hat. Der amibtionierte Erzählfluss, der durch seine vorzügliche Kameraarbeit und Lichtführung zwischen Kunst, der Stadt Paris, der Atlantikküste sowie der provenzalischen Landschaft vermittelt, überspielt die Schwäche des bloß Skizzenhaften, zumal die beiden Hauptdarsteller Guillaume Canet und Guillaume Gallienne in ihren widersprüchlichen Rollen brillieren. Cézannes Wut auf das mittelmäßige Establishment und seine forcierte Außenseiterrolle führen dabei immer wieder zu skandalösen Eskalationen, die der Figur etwas Thomas-Bernhard-haftes verleihen und den Film insgesamt vielleicht etwas zu sehr auf die Seite Zolas tendieren lassen. Es bleibt eine Ironie der Geschichte, dass Cézanne erst in dem Moment zur künstlerisch weit in die Moderne weisenden Meisterschaft fand, als ihn die Erbschaft seines verstorbenen Vaters auch finanziell unabhängig machte. Jetzt konnte er es sich leisten, auf die fragwürdig gewordene und vergiftete Freundschaft Zolas zu verzichten.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2016/20