Sonntag, 31. Dezember 1899 - 20:00 bis - 21:25
Ort: Kino achteinhalb
http://www.missingfilms.de/index.php/filme/10-filme-neu/293-face-it
Kategorien: Dokumentarfilm, deutscher Film, OmdU, missingFILMs, geplant
Treffer: 2944
Eintritt: 5,00 €
Originaltitel:
Deutschland 2018
Kinostart: 25. Juli 2019
84 Minuten
FSK: ab 0; f
Regie: Gerd Conradt
Drehbuch: Gerd Conradt, Daniela Schulz
Kamera: Hans Rombach, Benjamin Breitkopf
Musik: Lutz Glandien
Schnitt: Pablo Ben Yakov
Filmhomepage, Presseheft, alle Daten zum Film auf Filmportal.de
Kritiken:
Kritik von Jens Balkenborg im Filmmagazin EPD (3 von 5 Sternen)
Kritik von Bernd Buder im Filmdienst (3 von 5 Sternen)
Kritik von Joachim Kurz auf Kino-Zeit.de
Trailer (90 Sekunden):
ausführliche Kritik Filmdienst
Dokumentarisches Essay für Gefahren, Grenzen und Nutzen digitaler Gesichtserkennung.
Das deutsche Innenministerium hat im Jahr 2018 am Bahnhof Berlin- Südkreuz verschiedene Computerprogramme der Gesichtserkennung getestet. In der Öffentlichkeit war das sechsmonatige Projekt umstritten. Der Wunsch nach mehr Sicherheit steht der Angst vor der Verletzung der Privatsphäre und vor dem Missbrauch gesammelter Daten entgegen. Der Filmemacher und Videokünstler Gerd Conradt verlängert die politische Diskussion um philosophische Aspekte: Was macht ein Gesicht aus, und wie verändert sich dessen Lesbarkeit im „Zeitalter des Digitalismus“?
Das Wort „Digitalismus“ ist nicht zufällig gewählt. Conradt hat sich in seinem Gesamtwerk, von der Langzeitbeobachtung „Der Videopionier“ über den Kampf einer Mieterinitiative in den 1970er-Jahren und seiner Reflexionen über die Biografie seines Kommilitonen und „Rote Armee Fraktion“-Aktivisten „Starbuck Holger Meins“ bis zu der filmischen Autobiografie „Video Vertov“ immer wieder mit den Wirkungen von Ideologien auseinandergesetzt, deren Heilsversprechen meist mehr Druck auf das Individuum ausübten, als dass sie zur Weltverbesserung getaugt hätten. Das gilt auch im Falle des „Digitalismus“, der wie beim Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz die Idee einer umfänglichen Sicherheit vor Verbrechen und Terroranschlägen suggeriert. „Face_It!“ diskutiert das Phänomen kritisch, aber auch mit einer großen Portion Neugier – Conradt ist kein Modernisierungsgegner; er will vielmehr verstehen, wohin diese Modernisierung führt.
Der menschliche Faktor
Dazu befragt er verschiedene Akteure, von der Staatsministerin für Digitalisierung über Datenschützer und Videokünstler bis zu einem „Human Decoder“, der sich mit dem menschlichen Faktor in verschiedenen technisch dominierten Branchen auseinandersetzt. Um diesen menschlichen Faktor kreisen die meisten Gesprächen. Zwar lassen sich Gesichter biometrisch auslesen, doch was sagt die auf diesen Referenzdaten basierende Gesichtserkennung im öffentlichen Raum über die Befindlichkeiten, über die Emotionen, über die Persönlichkeit der beobachteten Personen aus?
Sigrid Weigel, die das Konzept zu der Ausstellung „Das Gesicht – eine Spurensuche“ im Dresdener Hygienemuseum entwickelt hat, spricht von der „Illusion, alles den Algorithmen zu überlassen und diese alles erledigen zu lassen.“ Dass Sicherheit weniger mit Überwachung als mit Vertrauen zu gewinnen ist, bringt der Künstler Padeluun mit der aphoristischen Sinnfrage zum Ausdruck, ob denn der Schutz der Demokratie durch die Überwachungstechnologie nicht von der vermeintlichen „Freiheit ohne Sicherheit“ zur „Sicherheit ohne Freiheit“ führe.
Das sind grundsätzliche Gedanken, die in keinem Essay über die Herausforderungen des digitalen Zeitalters fehlen sollten. Interessant wird es, wenn der Film abschweift, den interdisziplinären Dialog mit der Digitalgeschichte und mit Technikern sucht. So konfrontiert „Face_It!“ die Protagonisten mit älteren Videokunst-Arbeiten, etwa Ed Emshwillers „Sunstone“, der 1979 digitale und Animationstechniken vermischte, um zu zeigen, wie sich die Ausdrucksgebärden eines Gesichts je nach Farbgebung des Hintergrunds ganz unterschiedlich deuten lassen.
Tränen der Freude oder der Trauer
So bleibt auch hier hinter den „maschinenlesbaren Interfaces“ vom Bahnhof Südkreuz die Frage nach den Emotionen zurück, danach, ob die Tränen solche der Trauer oder Freude sind, oder danach, welche Interpretationszusammenhänge zur Deutung dieser Aufnahmen herangezogen werden. Oder wer diese Daten überhaupt auswerten könnte, und zu welchem Zweck? Wem gehört überhaupt das zum Zahlencode gewordene Gesicht? Immerhin, so stellt Conradt am Ende süffisant fest, würde er, wenn er sich in fünf Jahren fragen würde, was er am 21. August 2018 gemacht habe, eine präzise Antwort bekommen: Er hat sich auf dem oberen S-Bahnsteig des Bahnhof Südkreuz beim Selfie-Video-Machen filmen lassen.
Zuweilen recht sprunghaft führt dieser Exkurs zurück zum Urschleim der künstlerischen Hinterfragung des digitalen Zeitalters, von Emshwiller bis zum Konzeptkünstler Peter Weibel, der mit seinem „Hotel Morphila Orchester“ im Jahr 2013 in „Wir sind Daten“ das digitale Zeitalter kritisch würdigte.
Eine gewisse Ratlosigkeit
Nicht immer geht Conradts Konzept auf, zwischen den Protagonisten zu vermitteln und sie über ihre Kunstwerke und deren Kommentierung interdisziplinär zu vernetzen. Oft bleibt eine Ratlosigkeit zurück, die sich hinter den Gegenschnitten auf eine Protestaktion gegen den Überwachungsversuch am Bahnhof Südkreuz versteckt.
Die Überlegungen, die Künstler und Kuratoren zur digitalen Gesichtserkennung anstellen, lösen das Problem des drohenden Überwachungsstaates nicht – aber sie geben zu verstehen, wo technische Systeme und Algorithmen an ihre Grenzen stoßen. Das hat neben dem allgegenwärtigen Bedrohungsszenarium auch etwas Tröstliches.
Eine Kritik von Bernd Buder