Wild

Wild

  Freitag, 03. Juni 2016 - 20:30 bis Freitag, 03. Juni 2016 - 22:40

Ort: Kino achteinhalb

http://www.wild-film.de

Kategorien: Heike, 1SE, 2016, Guenter-Rohrbach-Filmpreis, Deutscher Kamerapreis, Sundance Filmfestival Nominierung, deutscher Film, Film, Archiv, Filmpreis, Spielfilm, Filmkunst, Filmdrama

Treffer: 2478


Eintritt: 5,00 €

Deutschland 2014
Kinostart: 14. April 2016
Uraufführung: am 24.01.2016 auf dem Sundance Film Festival in Utah (USA)

97 Minuten
FSK: ab 16; f

Produktion: Bettina Brokemper    
Regie/Drehbuch: Nicolette Krebitz     
Kamera: Reinhold Vorschneider    
Deutscher Kamerapreis 2016 für Reinhold Vorschneider in "Wild"

Schnitt: Bettina Böhler    

Darsteller: Lilith Stangenberg (Ania), Georg Friedrich (Boris), Silke Bodenbender (Kim), Saskia Rosendahl (Jenny), Kotti Yun (Myong), Laurie Young (Tanpi), Pit Bukowski (Tom), Benedikt Lay (Martin), Frowin Wolter (Oli), Hermann Beyer (Horst)
NFP über Filmwelt, 28.000 Zuschauer

Porträt des Filmdiensts von Lilith Stangenberg in der Reihe "Spielwütig"

Der Preis für die beste Filmkritik des Jahres, der Siegfried Kracauer Preis, geht an
Ekkehard Knörer für seine Kritik von "Wild" in der Zeitschrift Cargo.

 
Filmhomepage, Wikipedia, Programmkino.de, Filmgazette (9 von 10 Sternen), EPD-Film
alle Daten zum Film auf Filmportal.de
Andreas Schmid: Ich baue dir einen Stall für deinen Hund  

EPD-Film - Anke Sterneborg 4 von 5 Sternen
Eine Frau und ein Wolf: In ihrem dritten abendfüllenden Spielfilm greift Nicolette Krebitz das alte Motiv von der Attraktion des Animalischen auf und macht daraus mehr als ein modernes Märchen.

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Als eine apathisch vor sich hinlebende Frau im Park einem Wolf begegnet, verändert sich ihre Existenz radikal. Sie verliebt sich, fängt das Tier ein und nimmt es mit in ihre Wohnung. Bald bröckeln die Grenzen zwischen Jägerin und Beute, Mensch und Tier. Überzeugend erzählt der Film von der „Tierwerdung“ als Befreiung aus zivilisatorischen Zwängen, wobei die Verwilderung nicht als Kontrollverlust, sondern als Emanzipationsgewinn ausbuchstabiert wird. Dabei verlässt der utopische Entwurf nie den Boden der Realität, skizziert vielmehr ein ebenso offenes wie anspielungsreiches Szenario, das in der furchtlosen Hauptdarstellerin und der kongenialen Kameraarbeit seine Basis findet.
A
b 16.
Esther Buss, FILMDIENST 2016/8


Trailer (99 Sekunden):


Interview mit Lilith Stangenberg von ZDF-Aspekte (15 Minuten):


NDR 3 zu WILD (5 Minuten):


Interview mit Lilith Stangenberg und Nicolette Krebitz zum Film "Wild" (8 Minuten):


 

ausführliche Kritik Filmdienst
Ania ist ein einsamer Wolf, aber das Wilde schläft noch in ihr. Apathisch lebt und arbeitet sie in Halle-Neustadt; das anonyme Wohnsilo und ihr IT-Job nehmen sich in ihrer Tristheit nicht viel. Wenn sich die junge Frau durch die farbentsättigte urbane Landschaft bewegt, verschwimmt sie nahezu mit der Umgebung: blassblauer Anorak vor Beton- und Wolkengrau. Eine Tarnung vielleicht, so wie der anfängliche sozialrealistische Anstrich des Films. Allein Anias Hobby, das Schießen, weist in eine verhaltensauffälligere Richtung. Ihr Chef Boris scheint das in ihr schlummernde Tier immerhin unbewusst anzusprechen: Er zitiert sie wie einen Hund in sein Büro, indem er einen Tennisball gegen die Wand donnert.

Im Park begegnet Ania einem Wolf. Es ist ein „coup de foudre“ der anderen Art. Ania muss ihn unbedingt wiedersehen, lockt ihn mit Wolfsgeheul, einem schönen Stück von der Fleischtheke und Kaninchen, bevor sie ihn erfolgreich einfängt – mit einer an ein tribalistisches Ritual erinnernden Lappjagd. Ania sperrt den Wolf in der Hochhauswohnung ein. Die Grenzen zwischen Jägerin und Beute, Mensch und Tier bröckeln dabei im wahrsten Sinne des Wortes: als die Wand zwischen Wolf-Gefängnis und Restwohnung durchbrochen wird, ist das Tier im Menschen entlassen. Ania fällt aus der bürgerlichen Ordnung, leckt sich die Hand, fällt über Essensreste her und geht ihren sexuellen Begierden ungehemmt nach.
Mit den rohen Instinkten tritt auch mehr Farbe und Textur in den Film, anstelle von Entrücktheit und Apathie tritt physischer Kontakt. Ania und der Wolf verbindet bald mehr als eine reine Wohngemeinschaftsbeziehung.
Am Thesenfilm und seinen Beschränkungen vorbei eröffnet Nicolette Krebitz in „Wild“ einen gleichermaßen offenen wie referenziellen Erzählraum. Diskursives über das Mensch-Tier-Verhältnis und aus dem Horrorgenre bekannten Tieranverwandlungen hallen hier ebenso wieder wie reale Transgressionen – etwa die von Philip Warnell in „Ming of Harlem“ (2014) filmisch aufbereitete Geschichte über eine Wohngemeinschaft zwischen Mensch und Tiger in einem New Yorker Sozialwohnungsbau. Die Inszenierung ist dabei wenig an Trennschärfe interessiert, sie hält sich die Zugänge offen, bewegt sich mal in die eine, mal in die andere Richtung, verlässt aber nie den Boden der Realität. Mitunter droht die Erzählung ein wenig auszufransen. Die Fährten sind zahlreich: vom Verlust des Großvaters bis zur Billiglohnarbeit in einer Textilfabrik.
„Wild“ erzählt von der utopischen, aber ganz und gar greifbaren Tierwerdung als Befreiung aus dem Korsett gesellschaftlicher Vereinbarungen, als Zivilisationsbruch. Anias Verwilderung ist indes kein Verlust, etwa von Kontrolle oder Autonomie, sondern im Gegenteil: ein Emanzipationsgewinn. Glücklicherweise propagiert der Film keinen entfesselten Naturwerdungskitsch. Die radikalen Gesten wirken deshalb immer sehr gesetzt, fast ein wenig domestiziert, aber auch nicht ganz frei von Kalkül. So spekuliert der Film etwa recht steil mit Zoophilie, um das sexuelle Begehren dann aber doch in Form eines buchstäblich verrutschten Lap Dances auf den weniger belasteten Schauplatz eines Treppengeländers umzuleiten. Auch das Abjekte, ob Menstruationsblut, Sperma oder Kot, bleibt immer im Rahmen des bürgerlichen Geschmacks. Die Defäkation auf einem Büroschreibtisch – nahezu elegant.
Am überzeugendsten ist der Film dort, wo er seine Posen ablegt. Wenn er darauf vertraut, dass das Verhältnis von Mensch und Wolf tragfähig genug ist – und es ist tragfähig genug, erst recht mit einer so phänomenalen, furchtlosen Schauspielerin wie Lilith Stangenberg.
In der sehr schönen Schlusssequenz hat sich auch die Erzählung von jedem Ballast befreit. Ania und der Wolf streifen wie Komplizen durch eine magisch aussehende Landschaft, hügelig, verschlungen, undeutsch irgendwie – ein ehemaliges Truppenübungsgelände? Sie sind nun ganz auf Augenhöhe.
Esther Buss, FILMDIENST 2016/8