Freitag, 09. Mai 2014 - 20:30
Eintritt: 5,00 €
Deutschland 2013
Kinostart: 6. März 2014
98 Minuten
FSK ab 6 Jahren, empfohlen ab 14
Regie/Buch/Produktion: Felix Moeller
Kamera: Isabelle Casez, Ludolph Weyer, Aline László
Musik: Björn Wiese
Schnitt: Annette Muff
Verleih: Edition Salzgeber
Kurztext
Zwischen 1933 und 1945 wurden in Deutschland 1200 Spielfilme hergestellt. 300 Filme wurden nach dem Krieg von den Alliierten verboten. Über 40 NS-Filme sind bis heute nur unter Auflagen zugänglich – sie werden als „Vorbehaltsfilme“ bezeichnet. Der Umgang mit ihnen ist schwierig: Bewahren oder vernachlässigen, freigeben oder verbieten? VERBOTENE FILME stellt die „Nazifilme aus dem Giftschrank“ (Welt) vor und macht sich auf die Suche nach ihrem Mythos, ihrem Publikum und ihrer Wirkung heute – in Deutschland wie im Ausland. Eine visuelle Reise zur dunklen Seite des Kinos.
Presseheft des Verleihs, alle Daten zum Film auf Filmportal, Programmkino.de, EPD-Film, Deutschlandfunk
Filmgazette1: Nazi-Filme für alle
Filmgazette2: Vorsicht explosiv
Trailer:
ausführliche Kritik Filmdienst
Was für ein genialer Einstieg: Im Bundesarchiv Film, Außenstelle Hoppegarten, lagern in klimatisierten Betonbunkern Nitrozellulosekopien alter Filme – ein hochexplosives Material, gegen dessen Gefahren man sich architektonisch in mehrfacher Hinsicht gewappnet hat. Doch einige der Filme könnten auch in anderer Hinsicht „explosiv“ sein, denn von den etwa 1200 Filmen, die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 standen, verboten die Alliierten nach dem Krieg rund 300 Werke als „Propaganda“. Heutzutage gelten noch 40 „Vorbehaltsfilme“ (darunter „Jud Süß“, „Kolberg“ oder „Ich klage an“) als politisch so brisant, dass keine öffentliche Aufführung ohne wissenschaftliche Begleitung und anschließende Diskussion möglich ist. 70 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur stellt sich die Frage, wie man mit diesem Teil des nationalen Filmerbes umgehen soll? Wie ist es um die Gefährlichkeit der filmischen NS-Propaganda mit ihrem offenen Antisemitismus bestellt, ihrer antidemokratischen Ranküne, den anti-französischen, -britischen, -polnischen oder -russischen Tendenzen, ihrem Blut-und-Boden-Mystizismus und der sozialdarwinistischen Kriegsverherrlichung? Ist der Schoß fruchtbar noch, aus dem das alles kroch? Oder machen die Verbote das Verbotene gerade erst interessant? Wird man durch das Anschauen von „Jud Süß“ zum Antisemiten? Bestärkt der Film den vorhandenen Antisemitismus? Oder schämt man sich nicht viel eher für die primitive Selbstgefälligkeit des württembergischen Pöbels mit seiner unverhohlenen Neigung zum Pogrom? Wirkt der Film vielleicht weniger als Film denn als „Nazi-Symbol“?
Diese und viele andere Fragen macht Felix Möller zum Gegenstand eines Dokumentarfilms, der einschlägige Filmausschnitte auf die Talking Heads von Filmwissenschaftlern wie Rainer Rother, Stefan Drößler oder Sonja M. Schulz, Zeithistoriker wie Götz Aly oder Moshe Zimmermann und Filmemacher wie Margarethe von Trotta oder Oskar Roehler treffen lässt. Roehler plädiert für eine Freigabe der wichtigsten Propagandafilme, weil einem sonst Wissen über „unser Land“ vorenthalten werde. Roehler erinnert auch daran, dass die inkriminierten Filme mit ihrem frivolen Ruch des Verbotenen immer schon „in der Szene“ kursierten: in den 1980er-Jahren in Clubs und Off-Kinos, heutzutage im Internet. Und zwischenzeitlich immer mal wieder auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wo man einer älteren Zuschauergruppe süße Nostalgie mit Jugenderinnerungen bescherte und dafür auch schon mal die Filme „verstümmelte“, indem man Hakenkreuze, Hitlerbilder oder Reminiszenzen an den Krieg entfernte, um „entnazifizierte“ Filme zeigen zu können.
Es ist sicher legitim, keine gröhlenden Neo-Nazis im Publikum zu wollen, solange es noch Überlebende des Holocaust gibt. Dass die relativierende Reaktion im Umgang mit den NS-Filmen aber auch innerhalb des gesicherten Raumes einer begleiteten Aufführung perfide seriös stattfinden kann, zeigt Möllers aber auch. Andererseits offenbart der Umgang mit den Filmen eine seltsame Form der Bewahrpädagogik. So hört man merkwürdig irrlichternde Vorstellungen zur Wirkungsästhetik von Filmen, die implizit davon auszugehen scheinen, dass im Publikum noch immer Ansteckungsgefahr besteht. Andererseits wird darauf bestanden, sich offen und ehrlich und vor allem ohne falsche Rücksicht mit der eigenen Geschichte zu konfrontieren.
Moeller hat eine etwas unübersichtliche Polyphonie von Stimmen choreografiert, der eine konstitutive Asymmetrie zugrunde liegt: Experten, die wissen, wovon sie reden, sprechen zu einem Publikum im Kinosaal, das „diese Dinge“ nicht kennt. Ergänzt und illustriert wird dieser kritische Diskurs durch mal kürzere, mal längere Filmausschnitte aus weitgehend „unsichtbaren“ Filmen, die wiederum so interessant erscheinen, dass man am liebsten die kompletten Filme sähe. Das letzte Wort hat schließlich der Historiker Götz Aly, der für eine völlige Freigabe des Materials plädiert, Und in Kauf nimmt, dass anschließend ernsthaft darüber geredet wird. Was, das zeigt „Verbotene Filme“ ganz deutlich, stets geschieht, wenn die Filme, begleitet von Einführungen und Diskussionen, gezeigt werden. Nur den Experten käme auf diese Weise ihr Herrschaftswissen abhanden.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2014/5