Houston

Houston

Freitag, 07. März 2014 - 20:30

Ort: Kino achteinhalb

http://www.houston-film.de

Kategorien: Sundance Filmfestival Nominierung, 2014, deutscher Film, Film, Archiv, Filmpreis, Spielfilm, Filmdrama, Preis der deutschen Filmkritik

Treffer: 1488


Eintritt: 5,00 €

Deutschland 2013
Kinostart: 5. Dezember 2013
107 Minuten
FSK: ab 16; f
Produktion: Martin Heisler, Joachim Ortmanns    
Regie/Drehbuch: Bastian Günther    
Kamera: Michael Kotschi    
Musik: Michael Rother  
Schnitt: Anne Fabini    
Farbfilm über 24 Bilder, Scope

Darsteller: Ulrich Tukur (Clemens Trunschka), Garret Dillahunt (Wagner), Wolfram Koch (Borgmann), Jenny Schily (Christine), Jens Münchow (Hannes)

Filmhomepage, Filminfo des Verleihs, alle Daten zum auf Filmportal
Pressespiegel
Homepage von Ulrich Tukur

Kurzkritik Filmdienst

Ein deutscher Headhunter (Ulrich Tukur) will sich mit einem Geschäftsabschluss in den USA aus einer existenziellen Sackgasse befreien. Angst vor dem Versagen und seine Alkoholsucht machen ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Ein gesellschaftskritischer Film um eine grandios gespielte, kafkaeske Hauptfigur, die sich vergeblich abmüht, sich in den Strukturen eines undurchdringlichen Systems zurechtzufinden. Die kluge Inszenierung durchbricht den grundlegenden Realismus dabei immer wieder wohltuend mit surrealen Szenen. Ulrich Tukur überzeugt als im Nirwana der steril glänzenden Hochhausfassadengefangener, tragisch ambivalenter Anti-Held, dem der Kapitalismus gründlich das Lachen ausgetrieben hat. - Sehenswert ab 16.

ausführliche Kritik Filmdienst

Ein weißes Hemd fällt von einer der oberen Etagen eines Hochhauses herunter. Ein schlechtes Omen. Man denkt an die Twin Towers und die vielen Berufstätigen, die auf der Flucht vor den Flammen des 11. September in die Tiefe sprangen. Ein Mann schaut dem Absturz des Stofffetzens zu, seinen eigenen vor Augen, Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn: Clemens Trunschka, der wenn er nicht gerade bei Verhandlungen die Codes des allwissenden Geschäftsmanns simuliert, wie eine Figur aus einem Kafka-Roman wirkt. Verzweifelt versucht er die Strukturen hinter dem undurchdringlichen System zu erfassen, er will mithalten und wird doch immer weiter aus der Umlaufbahn der Dazugehörenden hinausgeschossen. In Bastian Günthers so nüchternem wie hypnotischem Protokoll des Scheiterns übernimmt Ulrich Tukur den Part des Landvermessers K., der vergeblich alle Tricks anwendet, um in „Das Schloss“ hineinzukommen. Der anonyme Machtapparat verweigert ihm jedoch den Zugang, ohne den seine Existenz jeglichen Wert verliert. Am Anfang scheint es noch, als bekäme Trunschka die Chance seines Lebens, dem ungeliebten Hamsterrad zu entkommen. Der Headhunter, dem selbst seine frustrierte, aber die Fassade wahrende Frau nichts mehr zutraut, nimmt einen lukrativen Auftrag an, der ihm den Ausstieg in die Frührente ermöglichen könnte. Nachdem der erste Anwerbeversuch in Deutschland gescheitert ist, soll er nach Texas fliegen, um vor Ort im Namen eines Autokonzerns den Geschäftsführer eines großen Ölkonzerns zum Jobwechsel zu bewegen. Doch statt Routine und Selbstvertrauen durchkreuzt Versagensangst seine Handlungen. Den Killerinstinkt hat der Mittfünfziger längst mit der Flasche getauscht, die auch in der glühenden Hitze von Houston nicht von seiner Seite weicht. Als die ersten Kontaktmanöver ins Leere laufen, fällt dem Alkoholiker nichts anderes ein, als sich an der Hotelbar festzuhalten. Ein redseliger Amerikaner, der inkognito den Service von Hotelketten testet, bringt ihn mit seiner entwaffnenden Vitalität und der Kenntnis des lokalen Netzwerks wieder ins Spiel. Er fungiert als sein komödiantisches Spiegelbild, spricht im heiter-melancholischen Duktus all die privaten Desaster und Sorgen aus, die der chronisch berauschte Deutsche längst nicht mehr zu beherrschen weiß, und bietet sich als seelenverwandter Freund an, den Trunschka bei jedem Anflug eines Durchbruchs undankbar wieder auf Distanz hält. Gemeinsam kommen sie dem in Gated Communities und exklusiven Golfplätzen abgeschirmten Top-Manager näher, vermasseln aber kurz vor dem Ziel das Tête-à-Tête, indem sie den Mann mit Fotos von einem Treffen mit seiner Geliebten erpressen. Das Imperium schlägt mit der Wucht von Baseballschlägern zurück, und auch auf der anderen Seite des großen Teichs ist man nicht mehr gewillt, das unprofessionelle Treiben zu tolerieren. Ein jüngerer Konkurrent soll es richten, Trunschka steht endgültig auf dem Abstellgleis. Bastian Günther (Jahrgang 1974) hat wohl auch aus Gründen des kleinen Budgets eine klug ökonomische Erzählstrategie gewählt. Selten verbringt man so viel Zeit in Hotelzimmern, Fitnessräumen und Leihwagen einer allmählich die Bodenhaftung verlierenden Figur, die vor lauter Zögern und instinktivem Widerstand gegen das alle Lebensbereiche überstrahlende neoliberale Erfolgsmantra in die Sinnkrise abgleitet. Damit das Psychogramm nicht zu bleiern realistisch geriet, hat Günther einige latent surreale Szenen ins Drehbuch geschleust, die von der sporadisch entfesselten Kamera und der meditativen Musik der Krautrock-Kultgruppe „Neu!“ stimmungsvoll unterstützt werden. Mal schmiegt sich der Familienhund über den Atlantik hinweg an Trunschkas Hotelbett, um ihn zu trösten, mal gibt sich der gejagte CEO auf dem Parkplatz eines Motels gesprächsbereit, nur um sich als nächtliche Erscheinung aus dem bedrohlichen Universum von David Lynch zu entpuppen. Den größten Kontrapunkt schafft allerdings Garret Dillahunt als aufdringlich-überdrehte Amerikaner-Karikatur. In seiner Gegenwart fährt der aufs Mutigste erschöpfte Ulrich Tukur zur Hochform auf, ein im Nirwana der steril glänzenden Hochhausfassaden gefangener, tragisch ambivalenter Anti-Held, dem der Kapitalismus gründlich das Lachen ausgetrieben hat. Neue deutsche Gesellschaftskritik vom Feinsten, auf den Spuren der glorreichen 1970er-Ära des New Hollywood, die weiterhin so wüstenstaubschmutzige Blüten tragen möge.
Alexandra Wach