Marketa Lazarová

  Montag, 25. Dezember 2017 - 19:30 bis - 22:30

Eintritt: 5,00 €

Marketa Lazarová
Schwarz-weiß. CSSR, 1967
Kinostart: 1. Dezember 2016

165 Minuten
FSK: ab 16

Regie: Frantisek Vlácil
Buch: Frantisek Pavlícek, Frantisek Vlácil
Vorlage: Vladislav Vancura (Roman "Marketa Lazarová")
Kamera: Bedrich Batka
Musik: Zdenek Liska
Schnitt: Miroslav Hájek

Darsteller:
Josef Kemr (Kozlík), Magda Vásáryová (Marketa Lazarová), Nada Hejná (Katerina), Jaroslav Moucka (Jan), Frantisek Velecký (Mikolás), Karel Vasicek (Jirí), Ivan Palúch (Adam), Martin Mrazek (Václav), Václav Sloup (Simon), Pavla Polaskova (Alexandria)

Filmhomepage, Filmseite des Verleihs,  Wikipedia, EPD-Film,

Kritik von Bert Rebhandl in der FAZ

Kritik von Philipp Bovermannin der Süddeutschen Zeitung

Kritik der taz

Kritik in Deutschlandfunkkultur



Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Ein 15-jähriges Mädchen im Hochmittelalter erblickt seine Zukunft in der vollkommenen Ergebenheit zu Gott, wird aber in die Strudel der Zeit gerissen und zur irdischen Liebe bekehrt. Die komplex verästelte Legende einer leidenschaftlichen Liebe, die alle mit ihr in Berührung kommenden Menschen verwandelt, übersetzt die Empfindungen der Figuren in metaphorische Bilder und assoziative Montagen. Das monumentale Epos ist in den Übergang aus einer Ära der ungehemmten Gewalt in die neue Entwicklungsstufe der Humanität eingebunden und erinnert in seiner Symbiose aus Naturalismus und Überhöhung, Wildheit und Poesie, Grausamkeit und Zärtlichkeit an Andrej Tarkowskis fast zeitgleich entstandenes Drama „Andrej Rubljow“ (1966-69).
Sehenswert ab 16
Ralf Schenk, FILMDIENST 2016/24

Trailer (185 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Fast 50 Jahre nach seiner Uraufführung kommt ein tschechischer Klassiker zum ersten Mal in die deutschen Kinos. Angesichts der erdrückenden Fülle neuer Filme ist das ein außerordentlicher Vorgang, der darauf hindeutet, dass es sich bei „Marketa Lazarová“ um eine bislang übersehene Perle, ein „Missing Link“ der Filmgeschichte handelt. Das monumentale Epos von Frantisek Vlácil (1924–1999), einst als „das anspruchsvollste Opus der tschechoslowakischen Kinematographie“ angekündigt, erweist sich als wesensverwandt mit Andrej Tarkowskis fast zeitgleich entstandenem „Andrej Rubljow“ (1969), mit Andrzej Zulawskis „Der silberne Planet“ (1977/87) oder Aleksey Germans großem Werk „Es ist schwer ein Gott zu sein“ (2013).

Alle diese Arbeiten zeichnet eine konsequente Abkehr von herkömmlichen dramaturgischen Strukturen aus, ein scheinbar formales Chaos als Ausdruck zerstörter oder noch nicht geschaffener Regeln und Gesetze. Das Individuum ist auf sich, seine Triebe und Instinkte, zurückgeworfen, sein Dasein aufs nackte Überleben ausgerichtet. Anders als bei den späteren Werken von Zulawski und German leuchten bei Vlácil allerdings Hoffnungszeichen auf: Sein ebenso robustes wie suggestives filmisches Panoramabild aus dem 13. Jahrhundert, über den gotischen Menschen zwischen Erde und Himmel, Gott und Tod, eröffnet die Perspektive auf ein Zeitalter der Läuterung. So wie es ist, beschwört der Film, kann es nicht bleiben; aus der Ära der ungehemmten Gewalt kann der Weg, bei Strafe des allgemeinen Untergangs, nur in eine höhere Entwicklungsstufe, nämlich die der Humanität führen.

„Marketa Lazarová“ entstand nach dem gleichnamigen Roman des tschechischen Avantgardeschriftstellers Vladislav Vancura, der während der Okkupation von den deutschen Besatzern hingerichtet worden war. Buch wie Film sind eine Raubrittergeschichte aus dem Mittelalter, die Legende einer leidenschaftlichen Liebe, die alle mit ihr in Berührung kommenden Menschen verwandelt. Die kompliziert verästelte Handlung lässt sich nicht in einer kurzen Nacherzählung bündeln, was auch gar nicht notwendig ist, denn weder Vancura noch Vlácil kommt es auf eine konventionelle, stringente Szenenabfolge an. Wichtiger ist ihnen, die unterbewussten Empfindungen der Figuren in metaphorische Bilder zu übersetzen, und diese Metaphern assoziativ zu montieren.

Die im Zentrum stehende Titelheldin, ein 15-jähriges Mädchen, das seine Zukunft zunächst in vollkommener Ergebenheit zu Gott erblickt, seinen Eintritt ins Kloster vorbereitet, dann aber durch eine gewaltsame Entführung in die Strudel der Zeit gerissen und gleichsam zur irdischen Liebe bekehrt wird, symbolisiert die Zuwendung zum Diesseits: ein ganz eigener „Abschied von gestern“.

Wichtig ist nicht zuletzt die Gestalt des Mönches Bernhard, die den zweiten Teil des Films wesentlich mitprägt, ein sinnenfroher Zeitgenosse, der aller Brutalität, allem Schmutz um sich herum das Ideal der Lebensfreude entgegensetzt.

„Marketa Lazarová“ beleuchtet nicht nur in seinen philosophischen Dimensionen, sondern auch in seiner formalen Aufwändigkeit einen Sonderfall in der tschechischen Kinematographie. Die Dreharbeiten dauerten rund sieben Monate, inszeniert wurde vorwiegend an authentischen Schauplätzen, in verfallenen Festungen und abgelegenen Wäldern, darunter in einem Moorland, das zu betreten nicht ungefährlich war. Die Besetzungsliste zählte rund 40 Hauptrollen und 200 Komparsen, meist in wilden, archaischen Kostümen. Hinzu kamen allegorisch eingesetzte Tierfiguren von Wölfen über Schlangen bis hin zu einem Schaf. Für die Musik nutzte Vlácil sakrale Gesänge. So entstand ein Film, der in seiner Symbiose von Naturalismus und Überhöhung, Wildheit und Poesie, Grausamkeit und Zärtlichkeit seinesgleichen suchte. Vor kurzem wählten ihn Prager Kritiker zum besten tschechischen Film aller Zeiten.

Ralf Schenk, FILMDIENST 2016/24