Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

  Sonnabend, 25. November 2017 - 20:00 bis Sonnabend, 25. November 2017 - 22:00

Kritik von Doris Hennies in der Celleschen Zeitung


Ankündigung
auf Celle Heute
Ankündigung im Celler Markt
Ankündigung der CZ - bei dieser Überschrift ("Lesung über Folgen des Antisemitismus"), die am Kern der Lesung vorbeigeht und erfahrungsgemäß Publikum eher abschreckt als neugierig macht, wäre es ausnahmsweise mal besser gewesen, wenn keine Ankündigung erfolgt wäre.

Kaninchenessenz:
Gewiss kommen in diesem Buch die Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus mit zur Sprache, aber sie  bilden nur den Hintergrund. Vor allem emigrierte die Familie Kerr nicht wegen ihrer jüdischen Religion, sondern wegen des Berufs des Vaters. Alfred Kerr war Schriftsteller und Journalist. Er hatte sich in Glossen über die Nazis lustig gemacht. Bis zur Berufung des NS-Funktionärs Erich Scholz zum politischen Rundfunkkommissar des Reichsinnenministers und der Entlassung des Intendanten der Berliner Funkstunde Hans Flesch im Sommer 1932 nahm Kerr in seinen Glossen für den Berliner Rundfunk Stellung gegen die NSDAP. Kerr floh daher einen Tag (6. März) nach der Reichstagswahl 1933 nach Prag, weil es als sicher galt, dass die von NAZIS infiltrierte Polizei ihn verhaften würde.

Das Ergreifende an dieser Geschichte ist die Darstellung des bitteren Loses politischer Flüchtlinge aus dem unbefangenen Blickwinkel eines jungen Mädchens. Vertreibung, Flucht und politische Emigration: das sind Grundsituationen, die sich seit 1933 immer wieder ereignet haben. Im Buch geht es darum, wie die Emigration einer Familie eines verfolgten Schriftstellers (der wegen seines Berufes und nicht wegen seiner jüdischen Religion verfolgt wird) von einem Kind erlebt wird und dass es sich auf den Stationen der Flucht mit ganz vielen neuartigen Situationen auseinandersetzen muss, allerdings auch mit dem Verlust von Freundschaften, von einem Zuhause und wie es diese Krisen mit einer Mischung aus Staunen und Neugier, aber auch mit der Unterstützung der Familie bewältigt. 


In Kooperation mit dem Rosa-Luxemburg-Club Celle

Ort: KUNST & BÜHNE
Dauer: zwei Stunden inkl. 15-minütiger Pause
Beginn: 20 Uhr
Einlass: ab 19 Uhr

Eintritt: 15,- Euro
Schüler/Studenten: 10,- Euro
Bezieher von SGB II und SGB XI: 5,- Euro

Es gibt 55 Karten. Die Karten sind nicht nummeriert. Wir verteilen aber Kärtchen mit den jeweiligen Namen an den Tischen. Karten können über diese Webseite oder per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. reserviert werden und dann an der Abendkasse zwischen 19 Uhr und 19.40 Uhr abgeholt werden. Reservierungen verfallen nach 19.40 Uhr.

Anke Engelsmann (geb. 1950), Gründungsmitglied der Bremer Shakespeare Company und des TAB (Theater aus Bremen), war früher oft als Gast des achteinhalbs in Celle - stets vor restlos ausverkauftem Haus. In KUNST & BÜHNE drängelte sich das Publikum Jahr für Jahr zur fast schon traditionellen Weihnachtslesung "Hilfe, die Herdmanns kommen". Anke ging dann vor ca. 17 Jahren zu Peymann ans Berliner Ensemble (BE) und war dort die letzten Jahre das Ensemblemitglied mit den meisten Vorstellungen. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Robert Wilson, Claus Peymann, Luc Bondy, Katharina Talbach, Leander Haußmann um nur einige zu nennen - und öfters mit Sebastian Sommer zusammen, der am Schlosstheater „The King‘s Speech“ und „Die Dreigroschenoper“ inszenierte. (Am Vorabend der Lesung, am Freitag, den 24. November, feiert Sebastian Sommers Inszenierung "Das Spiel ist aus" am Schlosstheater Premiere.)
Jetzt, wo es beim BE einen Wechsel in der Intendanz gab, hat Anke wieder die Zeit für einen Abstecher nach Celle. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist eine szenische Lesung, die sie ursprünglich für das BE erarbeitet und gespielt hat.

 
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Judith Kerr (geb. 1923 - Tochter des Theaterkritikers, Journalisten und Schriftstellers Alfred Kerr) schrieb den autobiographischen Roman  "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Das 1971 erschienene Buch ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt worden und gilt als eines der wichtigsten Jugendbücher, das sich mit den Anfängen und Auswirkungen des "Dritten Reichs" beschäftigt. Darin erzählt Judith Kerr die Geschichte der neunjährigen Anna, deren Familie 1933 nach der Reichstagswahl vor politischer Verfolgung durch die Nazis emigrieren muss. Wie das Leben als Flüchtlingsfamilie auf das Mädchen wirkt, erzählt Judith Kerr anhand zahlreicher Alltagsbegebenheiten, die den Krieg, die wirtschaftliche Not, die zahlreichen Umzüge begleiten. Dabei betont sie nie das Tragische, sondern zeigt uns durch den neugierigen und offenen Blick des Mädchens, wie aus dem Schicksal auch ein Abenteuer wird.

Anke Engelsmann hat die Geschichte von Anna bereits mit großem Erfolg am Berliner Ensemble gelesen, anlässlich der jährlich stattfindenden Gedenktage zum Beginn der Deportation der Berliner Juden. Mit einer nicht enden wollenden Bandbreite an Stimmen und Tonlagen gelingt es Anke Engelsmann, das Mädchen Anna und alle Menschen um sie herum lebendig werden zu lassen. Mit Feuereifer ist sie dabei, wenn Anna mit ihrem Vater und ihrem Bruder gerade noch die Flucht aus Deutschland gelingt, begeistert schildert sie das Feuerwerk vom 14. Juli in Frankreich und trägt den Zuhörer durch Annas schwere Krankheit zu Beginn ihrer Flucht. Ganz präzise erfasst sie die verschiedenen Stimmungen der Begebenheiten und lässt die Figuren für die Zuhörer - unter ihnen zahlreiche Kinder - durch genau dosierte Betonungen, wechselndes Tempo und gut gesetzte Pausen lebendig werden. Fast alle dieser unzähligen kleinen Begebenheiten haben absurde und komische Wendungen, die den Abend bei allen nachdenklichen Momenten zu einem vergnüglich-heiteren und kurzweiligen Erlebnis machen. Jede Figur erhält ihren eigenen Charakter, und das neunjährige Mädchen Anna, immer das Zentrum der Geschichte, wird nahezu greifbar. Der Spannungsbogen lässt trotz der großen Fülle an Figuren und Episoden nie nach - und am Ende kann man sich von Anna und ihrer Familie verabschieden wie von alten Freunden.
(Anika Bárdos, bis 2017 Dramaturgin am Berliner Ensemble)