Auguste Rodin

  Freitag, 03. November 2017 - 20:30 bis - 22:40

Eintritt: 5,00 €

Frankreich 2017
Kinostart: 31. August 2017
121 Minuten
FSK: ab 6; f

Regie & Drehbuch: Jacques Doillon  
Kamera: Christophe Beaucarne
Musik: Philippe Sarde
Schnitt: Frédéric Fichefet

Darsteller:
Vincent Lindon (Auguste Rodin), Izïa Higelin (Camille Claudel), Séverine Caneele (Rose Beuret), Bernard Verley (Victor Hugo), Anders Danielsen Lie (Rainer Maria Rilke), Olivier Cadiot (Claude Monet), Arthur Nauzyciel (Paul Cézanne), Laurent Poitrenaux (Octave Mirbeau), Guylène Péan (Juliette Drouet), Magdalena Malina (Sophie Postolska)
Central, Scope 

 
Filmhomepage, EPD-FilmProgrammkino.de  

Kritik von Rainer Gansera in der Süddeutschen Zeitung
Kritik von Christiane Meixner im Tagesspiegel
Kritik von Sabine Glaubitz in der Rheinischen Post
Kritik von Tilman Krause in der Welt



Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Im Jahr 1880 erhält der französische Bildhauer Auguste Rodin seinen ersten Staatsauftrag, wobei seine talentierte Schülerin und spätere Geliebte Camille Claudel ihn bei jedem künstlerischen Schritt begleitet. Mit der radikalen Absage des Künstlers an die Tradition stößt er zunächst auf den Widerstand des Kunstbetriebs. Das elliptische, äußere Höhepunkte meidende Porträt Rodins stellt das künstlerische Schaffen selbst ins Zentrum. Im Beziehungsdrama zwischen Rodin und Claudel zwar nicht ganz frei von erzählerischen Konventionen, gelingt gleichwohl eine höchst außergewöhnliche Beschreibung des Suchens nach einer künstlerischen Form.
Sehenswert ab 16.
Esther Buss, FILMDIENST 2017/18

Trailer (123 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
In seinem großartigen Film „Love Battles – Mein erotischer Ringkampf“ (2013) erzählte Jacques Doillon vom heftigen Aufeinandertreffen zweier Körper. Die Art und Weise, wie der französische Filmemacher die Begegnungen einer jungen Frau und eines etwas älteren Manns mittels einer zwischen Leidenschaft, Aggression und Verausgabung changierenden Choreografie inszenierte, hatte etwas Bildhauerisches. Insofern ist nun Doillons Film über Auguste Rodin (1840-1917), den Künstler und Wegbereiter der modernen Skulptur, eine schlüssigere Fortsetzung, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

„Die Form finde ich erst im Tun“, erklärt Rodin seiner Schülerin und späteren Geliebten Camille Claudel. Zu Anfang des Films hat er gerade seinen ersten staatlichen Auftrag erhalten, das „Höllentor“, eine sechs Meter hohe, fast 200 unterschiedliche Figuren umfassende Arbeit, angelehnt an Dantes „Göttliche Komödie“. Doillon macht sich das suchende, modellierende Moment des Künstlers stilistisch zu eigen, wenn die bewegliche, aber nie ausgestellt vitalistische Kamera (genau genommen sind es zwei) den Atelierraum im 360-Grad-Radius bespielt. Nahaufnahmen gibt es keine, weshalb auch die Kunst nie in die Nähe von Überhöhung und ergriffenem Schauern gerät. Die Modellier-Drehscheibe, auf der die noch unfertige Tonplastik bearbeitet und von allen Seiten betrachtet wird, gibt in gewisser Weise das Bildkonzept vor. Gerade der erste Teil des Films lebt stark von der Bewegung im Raum, ein ständiges Umkreisen und Umherlaufen innerhalb der Koordinaten Rodin, Claudel und Skulptur – diese Dreiecksbeziehung ist für den Film tatsächlich wichtiger als die Konstellation mit der langjährigen Lebensgefährtin Rose Beuret. In der bewegungsintensivsten Szene ist Rodin bei Victor Hugo zu Gast, der dem Künstler bei der Anfertigung seines Porträts das Modellsitzen verweigert. Die Kamera folgt Rodin bei seinen wiederholten, innerlich aufgewühlten Gängen zwischen dem Wohnraum, in dem sich Hugo aufhält, und einem etwas abgelegenen Zimmer, in dem die Tonskulptur gerade entsteht. Physisches Arbeiten bedeutet eben nicht immer die Begegnung von Kraft und Material.

„Rodin“ ist ein Atelierfilm in den gedeckten, weichen Farben von Ton und Haut. Der Schauplatz konzentriert sich weitgehend auf den Arbeitsraum, und selbst in den wenigen Außenraumszenen bleibt der Ton intim, eng mit dem künstlerischen Prozess verbunden. Beispielhaft eine Szene, in der Rodin mit Rose spazieren geht und immer wieder Bäume ertastet, so als übe er sich im Begreifen von Form, Oberfläche und Volumen. Eher selten dringt das, was sich heute „Kunstbetrieb“ nennt, in den abgeschlossenen Künstlerkosmos. Dafür ist der Schock umso größer, wenn sich der Künstler einmal mit konventionellen Erwartungen an Schönheit konfrontiert sieht. Als die Kommission zum ersten Mal die Balzac-Skulptur begutachtet, ist die Reaktion große Empörung. Er habe eine unförmige Masse geschaffen, hässlich, ein Ungetüm, der Schriftsteller sei schließlich für seine Werke berühmt, nicht für seine Genitalien.

Doillons Film könnte vom klassischen Biopic kaum weiter entfernt sein, auch wenn die Bilder des leicht animalischen, von Vincent Lindon nuanciert gespielten Künstlers zunächst den bekannten Typisierungen gar nicht mal widersprechen. Dabei ist „Rodin“ eher eine Skizze (als Zäsuren dienen ins Negativ gewendete Skizzen Rodins), von der zunächst gar nicht ohne weiteres auszumachen ist, was denn nun ihr Gegenstand ist. In elliptischen Bewegungen kristallisiert sich erst allmählich ein Porträt des Künstlers heraus, in dessen Zentrum einerseits die Arbeit selbst steht – es wird am Objekt selbst viel über Form und Ausdruck gesprochen –, andererseits die Liebes- und Arbeitsbeziehung mit Camille Claudel. Doillon ist sehr darum bemüht, in der Zeichnung Claudels die verbreiteten Klischees des wahnsinnigen Künstlergenies zu überschreiben. In ihrer Neugier und Lebendigkeit ist sie anfangs tatsächlich das „fröhliche Ausrufezeichen“, das Rodin später (Claudel leidet bitter an der fehlenden Anerkennung ihres Werks) so schmerzlich vermisst. Dass Doillons konzeptuell angelegter Film gegen Ende doch auf der Schiene des Beziehungsdramas einrastet und dabei manche Konvention nicht ganz vermeiden kann, gehört zu den Schwächen dieses schönen Films, der noch in jedem Moment so formbar und offen wirkt wie ein Batzen Ton.

Esther Buss, FILMDIENST 2017/18