Der Tod von Ludwig XIV.

  Dienstag, 12. September 2017 - 19:00 bis - 21:00

Eintritt: 5,00 €


LA MORT DE LOUIS XIV
Frankreich 2016
Kinostart: 29. Juni 2017
115 Minuten

Produktion: Thierry Lounas, Albert Serra, Joaquim Sapinho, Claire Bonnefoy

Regie: Albert Serra
Drehbuch: Albert Serra, Thierry Lounas
Kamera: Jonathan Ricquebourg
Musik: Marc Verdaguer
Schnitt: Ariadna Ribas, Artur Tort, Albert Serra

Darsteller:
Jean-Pierre Léaud (Ludwig XIV.), Patrick d'Assumçao (Fagon), Marc Susini (Blouin), Bernard Belin (Maréchal), Irène Silvagni (Madame de Maintenon), Jacques Henric (Beichtvater Le Tellier), Vicenç Altaió (Le Brun), Alain Lajoinie (Le Pelletier)
Grandfilm, Scope 

 
Filmhomepage, EPD-FilmProgrammkino.de  
Jury der Evangelischen Filmarbeit - Film des Monats: Juli 2017


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Kurzkritik Filmdienst
Die letzten Wochen im Leben des französischen „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. (1638-1715), die der von Wundbrand gepeinigte Monarch im Bett zubringt, umgeben von Höflingen, Ärzten und Kurtisanen. Sein unter einem strengen Protokoll der Beobachtung stehendes Sterben verwandelt das Kammerspiel in eine groteske Vivisektion des Zerfalls absolutistischer Macht. Das hoch stilisierte, filmästhetisch kunstvoll gedehnte Requiem, halb Totentanz, halb Karikatur, entlarvt die Mediziner als aufgeblasene Scharlatane, während der Hauptdarsteller Jean-Pierre Léaud in einer grandiosen Altersrolle dem tödlichen Ernst mitunter einen grotesken Humor abgewinnt.
Sehenswert ab 16.
Alexandra Wach, FILMDIENST 2017/13

Trailer (101 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Das muss man sich erst einmal trauen: Das Dahinsiechen eines über 70 Jahrzehnte regierenden Monarchen zum Zentrum eines meisterlich fotografierten Kostümdramas zu erheben. Was für eine Themenwahl! Der 1975 geborene spanische Underground-Regisseur Albert Serra landete damit 2016 prompt beim Filmfestival in Cannes. Jean-Pierre Léaud fällt die Rolle von Ludwig XIV. zu, der zwischen dem 9. August und dem 1. September 1715 hochbetagt die letzten Wochen seines Lebens im Bett zubrachte, gepeinigt von einem Wundbrand am linken Bein. Schon der räumliche Minimalismus der Situation macht sprachlos. Der erkrankte Sonnenkönig baut in dem stickigen Todeszimmer rapide ab, kann kaum noch gehen, hat keinen Appetit, verlangt in den schlaflosen Nächten nach Wasser und regiert im Liegen. Je stummer er wird, desto vielstimmiger gerät das Getuschel der mit jeder Geste ergebenen Höflinge, Kurtisanen, Priester und Diener um ihn herum.

Man applaudiert, wenn er es schafft, etwas Obst zu verspeisen, man diskutiert besorgt die Wahl der Ärzte oder die Notwendigkeit, die Regierungsgeschäfte ruhen zu lassen. Eine einzige kurze Sequenz sucht den Weg nach draußen durch ein verriegeltes Fenster. Die Natur ist über den Tod erhaben. Ein Entkommen gibt es hier nicht. Die Geräuschkulisse hat mehr zu bieten. Mal erklingen von draußen militärische Lieder, mal wie aus dem Nichts ein barocker Chor. Die letzten Menschen, die den König nicht aus den Augen lassen, sind Mediziner, eine schon von Molière wegen ihrer Unfähigkeit verspottete Berufsgruppe. Ihnen fällt in den dramatischen letzten Stunden nichts Besseres ein, als sich gegenseitig zu bekriegen. Keiner von ihnen will die Verantwortung für eine notwendige Amputation tragen. Weswegen man lieber kostbaren Handlungsspielraum verstreichen lässt und einen umstrittenen Wunderheiler aus Marseille als Berater hinzuzieht, der sich in Plaudereien über esoterisch-suspekte Medizintheorien ergeht, anstatt die Symptome des Kranken zu analysieren.

Die Kamera bleibt diesem extrem gedehnt gefilmten Zauderertheater dicht auf den Fersen, mitunter auch in Tableaus, die an Rembrandts Darstellungen anatomischer Lektionen erinnern. Sie fixiert die grandiosen Charaktergesichter der Darsteller, ihre seltsam anachronistische Art zu spielen, ihre überzeichneten Physiognomien sowie den königlichen, die Nation repräsentierenden Körper in Auflösung, den machtlosen Machthaber, immer noch korrekt, wenn auch etwas derangiert gekleidet mit einer überdimensionalen Perücke, nie um weitsichtige Bemerkungen verlegen, die seine groteske Lage spiegeln.

Das streng rekonstruierte Protokoll des unter Beobachtung stehenden Sterbens sprengt alle filmischen Erzählkonventionen und bleibt doch in ein selbst genähtes Korsett eingesperrt, das bei allem tödlichen Ernst nicht frei von Komik ist. Immer wieder bleibt die Zeit stehen, und man glaubt das Bild eingefroren. Wenn der rührend gealterte und in seiner gequälten Zurückhaltung vorbildlich majestätische Léaud plötzlich gefühlte Stunden den Zuschauer ohne zu zwinkern anschaut, gerät dieses Duell der Blicke zu einem cineastischen Hocherlebnis, das auch so etwas wie eine Verbeugung vor dem Kino in sich birgt, für das er steht.

Dieses hoch stilisierte, trockene und zugleich temperiert emotionale Requiem ist eine selten intelligente Offenbarung. Am Ende zerlegt sich das Kunstwerk selbst. Die Ärzte weiden das Opfer ihres Unwissens aus, wiegen die inneren Organe und ziehen ihre Schlussfolgerungen. Warum ist das Bein des göttlichen Louis verfault? Sie wissen es nicht. Eine entwaffnend ehrliche Kapitulation im Finale eines aufs Schönste schmerzhaften Legendenabgangs.

Alexandra Wach, FILMDIENST 2017/13