Die Erfindung der Wahrheit (Miss Sloan)

  Freitag, 25. August 2017 - 20:30 bis - 22:40

Eintritt: 5,00 €


USA 2016
Kinostart: 6. Juli 2017
133 Minuten
FSK: ab 12; f

Regie: John Madden (britischer Regisseur - "Shakespeare in Love", "Best Exotic Marigold Hotel")
Buch: Jonathan Perera
Kamera: Sebastian Blenkov
Musik: Max Richter
Schnitt: Alexander Berner

Darsteller:
Jessica Chastain (Elizabeth Sloane), Mark Strong (Rodolfo Schmidt), Sam Waterston (George Dupont), Gugu Mbatha-Raw (Esme Manucharian), Alison Pill (Jane Molloy), John Lithgow (Senator Ron M. Sperling), Jake Lacy (Robert Forde), Michael Stuhlbarg (Pat Connors), Alexandra Castillo (Pru Walsh), Dylan Baker (Moderator) Pirzadeh
Central, 87Tin7W, 20Oktober_23:59 

 
Filmhomepage, WikipediaEPD-FilmProgrammkino.de  

Kritik von David Kleingers im Spiegel
Kritik von Verena Lueken in der FAZ
Kritik von Marie Schmidt in der Zeit 
Kritik von Christian Schröder im Tagesspiegel
Kritik von Hans-Georg Rodek in der Welt

Videorezension von David Steinitz in der Süddeutschen Zeitung


Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Eine selbstsicher-arrogante, mit allen Wassern gewaschene Lobbyistin soll im Auftrag ihrer Kanzlei für die US-amerikanische National Rifle Association (NRA) ein strengeres Waffengesetz verhindern. Stattdessen kündigt sie, heuert mit ihrem Team bei einer anderen Agentur an und arbeitet fortan für die Gegenseite, die eine größere Waffenkontrolle durchsetzen will. Das klug konzipierte, mit konzisen Dialogen gespickte und in der Hauptrolle brillant gespielte Drama nutzt den politischen Lobbyismus in Washington als Hintergrund für einen packenden Thriller. In der Rahmenhandlung folgt er einer parlamentarischen Anhörung mit den Mustern des Justizdramas.
Sehenswert ab 14.
Michael Ranze, FILMDIENST 2017/14

 

Trailer (82 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Diese Frau muss man nicht mögen: Die elegant gekleidete Elizabeth Sloane ist selbstsicher und arrogant, so skrupel- wie rücksichtslos, wortgewandt und fordernd. Ihr blasses Gesicht wird von schulterlangem rotem Haar gerahmt, überstrahlt nur vom leuchtend roten Lippenstift. Die Lobbyistin arbeitet in Washington für die alteingesessene Kanzlei George Dupont. Dabei geht sie mit fast schon beängstigender Präzision vor. Sie kennt alle Tricks und duldet keine Schwäche, benutzt Menschen und lässt sie en passant fallen. Sie ist ein furchteinflößendes Monster: Nur der Erfolg zählt.

Für die mächtige „National Rifle Association“ (NRA) ist sie der Rettungsanker, um ein unvorteilhaftes Waffenkontrollgesetz zu verhindern. Doch von einem Tag auf den anderen kündigt die Juristin und heuert mit fast ihrem gesamten Team bei der Firma von Rodolfo Vittorio Schmidt an – einer Kanzlei, die eben jenes Waffengesetz durchsetzen soll. Mit einem Mal entspinnt sich ein raffiniertes Schachspiel zwischen den Befürwortern der Waffenkontrolle und den Unterstützern der NRA, bei dem jedem Zug größte Bedeutung zukommt. Sloanes Schutzpanzer, der zunächst so unerbittlich schien, beginnt zu bröckeln. Diese Wendung ahnt man bereits, weil der Film durch eine in der Gegenwart angesiedelte Rahmenhandlung strukturiert wird, in der die Anwältin bei einer Anhörung zu ihren Berufspraktiken befragt wird. Hat sie ihren Gegner eventuell mit unerlaubten Überwachungsapparaten ausspioniert?

Doch dies ist kein Film, der einfache Antworten oder vorhersehbare Lösungen anbietet. Während die politische Einflussnahme hinter den Kulissen Washingtons im Kino eher selten stattfindet (einmal abgesehen von „Thank You For Smoking“, fd 37 718) und Fernsehserien wie „West Wing“, „House of Cards“ oder „The Wire“ da wesentlich weiter sind, skizziert John Maddens Drama mit Wucht und Verve jene von Männern beherrschte Welt, in der es primär darum geht, den Gegner auszuschalten, der Bessere, Kompetentere, Erfolgreichere zu sein. Dass in diese abgeschlossene Welt eine Frau einbricht, die den Männern haushoch überlegen ist, fügt dem Film eine weitere Dimension hinzu. „You must know your stuff!“, bleut „Miss Sloane“ (so der Originaltitel) ihren Mitarbeitern ein, was die Wichtigkeit fundierter Sachkenntnis unterstreicht.

Die Inszenierung thematisiert gar nicht so sehr das Für und Wider von Waffenbesitz, zumal der Film hierzu in einer Nebenhandlung eine ambivalente Haltung einnimmt, in der Sloanes’ schwarze Assistentin fast ein Opfer von Waffengewalt wird. Im Kern geht es vielmehr um Macht und ihren Missbrauch, um Geld und Beziehungen. Das klug aufgebaute Drehbuch konzentriert sich auf die Charaktere, die in einer Mischung aus Intelligenz und Getriebenheit rücksichtslos ihre Ziele verfolgen, ebenso auf die politische Dynamik, die nie still zu stehen scheint. Wie in einem Hochdruckkessel nehmen die Ereignisse immer dramatischere Formen an. Das Gesetz zur Waffenkontrolle wird so zum endlosen Tauziehen, in dem sich Politiker mit auf den Punkt geschriebenen Dialogen verführen lassen und die Einflussnehmer jegliche Grenze überschreiten.

In der Rahmenhandlung folgt der Film den Konventionen eines Justizdramas, mit einigen Tricks und Wendungen, die eher der Fantasie des Autors entsprungen sind als dass sie wirklich beschreiben, wie es hinter geschlossenen Türen in Washington zugeht. Jessica Chastain erscheint als Elizabeth Sloane denn auch als der Realität enthobene Kunstfigur, ist ein wenig zu perfekt mit ihren vorausschauenden Winkelzügen, ein wenig zu skrupellos mit ihren Methoden. Im Lobbyismus heiligt der Zweck die Mittel, und diese Philosophie macht sich Sloane uneingeschränkt zu eigen. Am Schluss hat sie noch einen Trumpf in der Tasche. Doch der Preis, den sie dafür bezahlt, ist hoch.

Michael Ranze, FILMDIENST 2017/14