Research Refugees - Fluchtrecherchen (anschließend Filmgespräch mit der Regisseurin Sophia Bösch)

  Montag, 20. März 2017 - 19:00 bis - 22:00

Ein Film im Rahmen unserer Reihe "wehrhaft Demokratie stärken - Ausgrenzung entgegentreten" im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben - Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit" und in Kooperation mit "Vielfalt in Celle - Koordinierungsstelle Integration  der Stadt Celle".
 

Regisseurin und Filmstudentin Sophia Bösch ist an diesem Abend zu Besuch im Kino achteinhalb.

Definition von Omnisbusfilm und Kompilationsfilm

 

Eintritt: frei

Dokumentarfilm Deutschland 2016
Kinostart: 12. Januar 2017
98 Minuten

Produktionsfirma: Filmkollektiv Recherche
Verleih: Filmkollektiv Recherche
 
Produktion:
Tahir Agaoglu, Sophia Bösch, Christoph Eder, Jonas Eisenschmidt, Florian Fettweis, Julia Jörin, Toprak Kaya, Egehan Köksal, Laura Laabs, Sophie Linnenbaum, Mizgin Müjde Arslan, Thais Odermatt, Felix Pauschinger, Natalia Sinelnikova, Tobias Wilhelm

Regie:
Laura Laabs, Duc Ngo Ngoc, Tobias Wilhelm, Natalia Sinelnikova, Sophia Bösch, Sophie Linnenbaum, Christoph Eder, Therese Koppe, Thais Odermatt, Felix Pauschinger, Jonas Eisenschmidt, Valérie Anex, Baturay Ertas

Buch:
Laura Laabs, Duc Ngo Ngoc, Tobias Wilhelm, Natalia Sinelnikova, Sophia Bösch, Sophie Linnenbaum, Christoph Eder, Therese Koppe, Thais Odermatt, Felix Pauschinger, Jonas Eisenschmidt, Valérie Anex, Baturay Ertas

Kamera:
Omri Aloni, Christoph Eder, Jonas Eisenschmidt, David-Simon Groß, Therese Koppe, Lilian Nix, Felix Pauschinger, Janine Pätzold, David Schittek, Domenik Schuster, Carlos Vasques

Musik: Franziska Henke

Schnitt:
Valérie Anex, Christoph Eder, Jonas Eisenschmidt, Emma Gräf, Andrea Herda-Muñoz, Friederike Hohmuth, Therese Koppe, Lena Köhler, Thais Odermatt, Felix Pauschinger, Laura Sabogal Espinel, Tobias Wilhelm, Martin Wunschick

 
Filmhomepage, FacebookseiteProgrammkino.de, alle Daten zum Film auf Filmportal.de ,
Facebookseite von Sophia Bösch
Besprechung von derFreitag

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Kompilationsfilm mit elf Beiträgen von Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, die auf die Ereignisse im Herbst 2015 reagieren, als rund 900.000 Flüchtlinge Zuflucht in Deutschland suchten. Die dokumentarischen, betont skizzenhaften Kurzfilme beschäftigten sich mit Flüchtlingsunterkünften, blicken auf die Außengrenzen Europas oder verknüpfen essayistisch deutsche Geschichte und Gegenwart, Familienbiografie und Flüchtlingsströme miteinander. Zwar greifen sie keine neuen Gedanken, Diskurse oder Bilder auf, ermöglichen es aber, Flucht und Migration aus einer anderen (Kamera-)Perspektive wahrzunehmen.
Sehenswert ab 14
Marguerite Seidel, FILMDIENST 2017/1


Trailer (115 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Deutschland im Oktober 2015. Eine völlig andere Zeit und Atmosphäre als während des historischen Deutschen Herbstes 1977. Und ohne annähernd vergleichbare Ereignisse. Dennoch ist es ein hochpolitischer Herbst. Täglich kommen mehr und mehr geflüchtete Menschen in Europa an. Bis Jahresende treffen allein in Deutschland rund 900 000 Flüchtlinge ein, so viele wie noch nie in den Jahren zuvor (2014 waren es 200 000). Es fehlt an Unterkünften. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stauen sich Hunderttausende Asylanträge. Das Wort „Flüchtlingskrise“ macht die Runde. Es gibt die Willkommenskultur und unzählige Helfer, aber auch heftige politische Debatten, Verunsicherung, Ängste und Rechtspopulismus.

Auf Initiative des Regisseurs Michael Klier haben sich Studierende der Bauhaus-Universität in Weimar und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf zusammengeschlossen, um diese Geschehnisse nach dem Vorbild von Episodenfilmen wie „Deutschland im Herbst“ (1977, fd 20 705) oder „Deutschland 09“ (2009, fd 39 200) festzuhalten. Die jungen Filmemacher, so die Vorgabe, sollen sich möglichst unmittelbar und persönlich den Themen Flucht und Migration nähern.

Elf Kurzfilme sind daraus entstanden, die nach Festivalpräsentationen nun durch die deutschen Kinos touren. Das Interessante – und Aufrüttelnde – an ihnen ist der persönliche Blick, das Drauflosfilmen inmitten von Ereignissen, die noch lange nicht abgeschlossen oder ausdiskutiert sind. Sie ergänzen die gängigen Medienbilder vom Exodus, von Menschen in Not und Funktionären in Erklärungsnot um andere Facetten, Perspektiven und Kontexte.

Im Auftaktfilm reflektiert die Schweizer Filmstudentin Thaïs Odermatt über den Zufall, selbst in eine sichere, wohlhabende Nation hineingeboren worden zu sein. Sie setzt ihr eigenes sorgenloses Leben in Beziehung zu vergangenen und aktuellen humanitären Katastrophen. Wo und wann ein Mensch geboren wird, ist Zufall. Ihre dichte Montage aus historischen und aktuellen Aufnahmen von Kriegs- und Krisenherden macht jedoch schmerzhaft deutlich, dass Flucht und Fluchtursachen hingegen keineswegs Zufälle sind.

Aus mehreren epochenübergreifenden Blickwinkeln verflicht auch Laura Laabs in „Wegweiser“ die Ankunft der Migranten heute essayistisch mit der eigenen Familienbiografie und der deutschen Geschichte. In Hitlers Geburtsort Braunau sammeln sich Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland. Während Laabs’ jüdische Großmutter vor den Nationalsozialisten aus Breslau flüchtete und in Bayern eine neue Heimat fand, weiß heute keiner, wohin mit den Ankommenden. Sind vielleicht jene, die wir bei der Ankunft in goldene Rettungsdecken hüllen, die neuen Helden?

In „Meinungsaustausch“ von Sophie Linnenbaum und Sophia Bösch sind die Flüchtenden auf irritierende Art und Weise wirklich die „Helden“ des Films. Die beiden Regisseurinnen haben Migranten als Protagonisten vor die Kamera geholt, ihnen aber fremdenfeindliche Interviewmitschnitte in den Mund gelegt. Der Gehalt der Aussagen wirkt dadurch noch absurder, finsterer, unhaltbarer.

Andere Filmemacher gehen streng dokumentarisch vor und schauen in überfüllte oder bereits wieder geschlossene (Not-)Unterkünfte, mal wechselweise aus der Sicht eines deutschen Jungen und eines syrischen Mädchens; mal begleiten sie Erwachsene („Die Polizistin und der Drachenreiter“ von Duc Ngo Ngoc, „0.5qm“ von Tobias Wilhelm, „Kurzaufenthalt“ von Felix Pauschinger, „Herbstgesang“ von Valérie Anex).

Die Lage an den Außengrenzen Europas wird ebenfalls eingefangen. In „Nordwärts“ von Therese Koppe stecken zwei Senegalesen in Athen fest, abhängig vom Hungerlohn ihrer Sonnenbrillenverkäufe am Strand. Es reicht weder für die Rückkehr noch für die Weiterreise und auch nicht zum Bleiben. Eine nahezu unbekannte Facette des Flüchtlingszustroms zeigt „Imbiss“ von Christoph Eder und Jonas Eisenschmidt. Auf der Insel Lesbos führt eine griechische Familie einen florierenden Imbiss, dank all der angelandeten Flüchtlinge, die sich bei ihnen mit Essen, Trinken und Strom fürs Handy versorgen.

Mit zwei inszenierten Beiträgen endet „Research Refugees“: der mühsamen Reise einer Frau auf einer Euro-Palette durchs Mittelmeer („Umut“ von Baturay Ertas) und einem Streit zwischen den Kuratoren eines Filmfestivals, die über der Entscheidung zwischen Flüchtlingsfilm, „Albinos“ oder dem „kurdischen Schäfer“ ein Klischee nach dem anderen bedienen („Veto“ von Natalia Sinelnikova).

Die bewusst skizzenhaft gehaltenen Beiträge greifen nicht unbedingt neue Gedanken, Diskurse und Bilder auf. Sie erlauben es allerdings, Flucht und Migration aus einer anderen (Kamera-)Perspektive wahrzunehmen, neue Geschichten und Erzählungen kennenzulernen und sich im Dunkel des Kinos anders darauf zu konzentrieren.

Marguerite Seidel, FILMDIENST 2017/1