Dass mit dem Beruf einer Sekretärin in den 1950er-Jahren nicht nur ein emanzipatives Versprechen verbunden war, sondern auch ein von sexuellen Anzüglichkeiten und Übergriffen bestimmter Büroalltag, hat die amerikanische Fernsehserie „Mad Men“ sehr dezidiert beschrieben – die neue Sekretärin wird dort recht despektierlich nur „the new girl“ genannt. Dagegen schreibt der in der französischen Provinz der 1950er-Jahre angesiedelte Debütfilm von Régis Roinsard überaus optimistisch eine von Widerständen befreite Emanzipationserzählung, in deren Mittelpunkt die Sekretärin Rose steht. Als eigentliche Hauptfigur fungiert jedoch ein ziemlich schweres, unhandliches und geräuschintensives Objekt: die Schreibmaschine. Wenn Roinsard diesem Hauptwerkzeug der Bürokommunikation, an dem sich nicht zuletzt der Fortschrittsglaube eines ausgehenden Jahrzehnts festmacht, die Bühne überlässt, findet „Mademoiselle Populaire“ zu seinen besten Momenten. Von der Lautlosigkeit und Regungslosigkeit heutiger Computerarbeit maximal entfernt, ist das Tippen vor allem ein körperlicher Akt im Dialog mit der Maschine, vom Einsetzen des Papiers in der Walze über das rhythmische Hämmern auf den Tasten bis hin zur schwungvollen Betätigung des Zeilenschalthebels. In einer Szenewird dieses tänzerische Zusammenspiel aus Ratsch- , Klack- und Klingelgeräuschen sogar musikalisch gefeiert, mit dem Song „Le tcha-tscha de la secrétaire“.
Eine Schreibmaschine der Firma „Triumph“ im Schaufenster des Krämerladens ihrer Eltern übernimmt für das Landei Rose die Rolle eines Initiationsobjekts. Mit etwas diffusen Vorstellungen von Modernität, Selbständigkeit und großer weiter Welt bewirbt sich die Frau mit dem charakteristischen Audrey-Hepburn-Pferdeschwanz als Sekretärin in einem Versicherungsbüro in der nächstgrößten Stadt. Wenn der gut aussehende Chef Louis Richard die Tür zum überfüllten Wartezimmer öffnet und sein Blick die Bewerberinnen streift, ist das nur vordergründig ein Moment erotischer Schwingungen: anstatt kurviger Schönheiten sieht sich Louis nämlich vor allem zugeknöpften, ihre Souveränität zur Schau stellenden Kandidatinnen gegenüber.
Wiederholt bringt „Mademoiselle Populaire“ diesen etwas strengen und mitunter leicht verbiesterten Frauentypus gegen die blonde, etwas mädchenhafte, ungleich weichere Rose in Stellung – so viel zu den emanzipationspolitischen Patzern des Films. Rose ist zwar ein arger Tollpatsch und hackt wie ein Elefant in die Tasten, bekommt den Job aber trotzdem, da Louis in der Schnelltipperin sogleich ein Talent und in sich selbst den Coach erkennt. Genremäßig entwickelt sich „Mademoiselle Populaire“ von da an zum Sportfilm. Denn um sie zur Schnellschreib-Weltmeisterin zu machen, trainiert Louis seine Sekretärin bis zur Erschöpfung: Rose muss nicht nur einen Roman nach dem anderen abtippen, von Flauberts „Madame Bovary“ bis hin zu Stendhals „Rot und Schwarz“; zum Programm gehören auch Klavierstunden und Lauftraining – letzteres unverkennbar eine Anspielung auf „Rocky“ Der Witz dieser Analogie liegt an der Überhöhung von Schnelltippen zur sportlichen Disziplin, andererseits aber auch in der geschlechtsspezifischen Umschreibung: denn während Louis seinen Schützling nicht nur coacht, sondern für Rose auch kocht, die Wäsche wäscht und selbst im Hintergrund bleibt, avanciert die Sekretärin zur Schreibmaschinen-Schnellschreib-Meisterin und zudem zum gefeierten Covergirl und Werbegesicht – Roinsard rückt hier ganz nebenbei auch den Aufstieg der Konsum- und Medienkultur in den Blick.
Diese zeitspezifischen Referenzen und Louis’ Unsicherheit und seine Minderwertigkeitskomplexe – alles Eigenschaften, die ein klassisch maskulines Rollenbild verfehlen – , verleihen dem Film zwar weit mehr Substanz, als das Thema erwarten lässt, ändern aber auch nichts an der schlichten Handlung, die auf das „Sekretärin verliebt sich in Chef“-Klischee hinaus läuft. Ansonsten ist „Mademoiselle Populaire“ ein perfekt durchgestylter Film mit einigem Charme, der im Gegensatz zum französischen Nostalgie-Kino von „Amelie“ bis hin zu „Der kleine Nick“ glücklicherweise nicht im Zeitkolorit erstickt. Die Farbpalette ist gedämpfter als das grelle Technicolor in den Filmen der Vorbilder Douglas Sirk und Stanley Donen, und auch im differenzierten Spiel von Romain Duris und Déborah Francis schimmert Zeitgenössisches durch. Von den konservativen Sehnsüchten, die den filmischen Rekursen auf die 1950er-Jahre oftmals zu eigen sind, grenzt sich „Mademoiselle Populaire“ zwar entschieden ab, doch die historische Komplexität der „Mad Men“-Serie liegt in diesem beschwingten Sekretärinnen-Cha-Cha-Cha jedoch ebenso weit entfernt.
Esther Buss